von Ellen Presser
»Second Generation« nennt man die Kinder der Schoa-Überlebenden. Viele dieser »Kinder« versammelten sich am 10. März auf dem Jüdischen Friedhof im Frankfurter Nordend, um einer der ihren – Shoshana Alter sel. A. – das letzte Geleit zu geben. Es war wie zu ihren Lebzeiten. Wer »Shoshi« sehen wollte, mußte zu ihr kommen. Ihr Zuhause verließ sie nur, wenn es unumgänglich war.
Dafür war ihre Gastfreundschaft legendär. Bei ihr, sagt die Schriftstellerin Lea Fleischmann in der Trauerrede, »fanden zur Buchmesse und auch sonst viele Autoren einen gedeckten Tisch und ein hergerichtetes Bett. Wie viele geistreiche Gespräche wurden dort geführt.« Viele Freunde hatten sie in ihrem Haus besucht. Viele nahmen auf dem Friedhof von ihr Abschied.
Shoshana wurde 1946 im polnischen Bromberg geboren. 1950 ging sie mit ihrer Familie nach Ramat Gan, 1958 kam sie nach Frankfurt am Main. Diese zweite Emigration stürzte sie in Sprachlosigkeit. Nun sollte sie nach Polnisch und Hebräisch auch noch Deutsch lernen. Anschluß fand sie als Madricha im jüdischen Jugendzentrum, wo sie in Lea Fleischmann eine Freundin fand. Shoshi schneiderte Kostüme, zunächst noch privat für die Laienspielgruppe des Haskala-Theaters, das durch sie zu einiger Berühmtheit gelangte. Dann erlernte sie das Schneiderhandwerk von Grund auf, arbeitete kurze Zeit als Direktrice in Offenburg, um nach dem Abschluß des Abendgymnasiums Pädagogik zu studieren. Shoshanas Schicksal wurde jedoch die Druckerei des Vaters.
Leo Seckel hatte 1958 die Firma Tempodruck und 1959 die zu Rosch Haschana und Pessach erscheinenden Frankfurter Jüdischen Nachrichten gegründet. Dafür mußte er seine polnische Meisterprüfung bei Karl Marx, dem Gründer der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland, in Düsseldorf bestätigen lassen.
Aus der Hilfe im Betrieb entwickelte sich für Shoshana eine feste Mitarbeit. Als nach dem Tod des Vaters 1976 die Druckerei schließlich verkauft wurde, machte sie aus dem Anzeigen- und Mitteilungsblatt ein spannendes Forum für jüdische und nichtjüdische Intellektuelle. Shoshana redigierte Texte – manchmal auch gegen die Eitelkeit von Autoren – zum Besseren. Lokale Größen wie Adolf Diamant, Landesrabbiner Ernst Roth und Paul Arnsberg wurden von Autoren wie Maxim Biller, Henryk M. Broder, Detlev Claussen, Dan Diner, Lea Fleischmann, Hilmar Hoffmann, Josef Joffe, Cilly Kugelmann und Michael Wolffsohn abgelöst.
Shoshi betreute zeitweise auch das Frankfurter Jüdische Gemeindeblatt, die Journale von WIZO, Maccabi, Ort Deutschland, der Bar-Ilan-Universität sowie das Jugendmagazin Tachles. Zur Jugend hatte sie durch ihre Kinder Jenny und Leo ohnehin einen guten Draht. Wie die Autoren fühlten auch sie sich bei Shoshi zu Hause.
Trotz schwerer Krebserkrankung brachte Shoshi Alter wie seit Jahren noch im vergangenen September – unterstützt von ihrer Tochter Jenny – die Rosch-Haschana-
Ausgabe heraus, im 46. Jahrgang.
»Ein Mensch, dessen gutes Herz so weich, dessen Verstand so wach und dessen Mitgefühl so tief war«, sagte Lea Fleischmann über ihre Freundin. Und so werden wir sie in Erinnerung behalten.