von Katrin Diehl
Für Hilary und Piers du Pré sowie ihren al-ten Vater war es die erste jüdische Beerdigung. Zu dem Schmerz, mit dem sie sich vor zwanzig Jahren dem Londoner Friedhof Golders Green näherten, trat Verunsicherung. Vom Judentum und den Juden hatten die frommen Christen diffuse bis seltsame Vorstellungen.
Ganz ähnlich hatten sie sich schon einmal gefühlt, zwanzig Jahre zuvor, auch wenn der Anlass damals ein freudiger gewesen war: Die ganze Familie – die Mutter lebte noch – war von England nach Israel gereist, zur jüdischen Hochzeit der Tochter und Schwester.
Es war 1967, der Sechstagekrieg war kurz zuvor gewonnen worden und ganz Israel schaute auf das Paar an der Westmauer. Der Pianist und Dirigent Daniel Barenboim heiratete die Cellistin Jacqueline du Pré. Da in Israel bekanntlich nur religiös nach orthodoxem Ritus geehelicht werden kann – und weil die Eltern des Bräutigams auf einer jüdischen Trauung bestanden –, war die damals 22-jährige Jacqueline du Pré in einem bemerkenswerten Ruckzuckverfahren zum Judentum übergetreten. Was normalerweise Jahre dauerte, erledigte sie binnen 24 Stunden. Das Oberrabbinat hatte zwar Bedenken geäußert – die Liebe zu einem Juden mochte man als Begründung für eine Konversion nicht akzeptieren und die Liebe zum Judentum war in der Kürze der Zeit unmöglich festzustellen – doch das junge Paar hatte die Unterstützung des Volkes und der Politik: Im Krieg waren Barenboim und du Pré vor der kämpfenden Truppe aufgetreten.
David Ben Gurion setzte sich für die beiden ein, eine Sonderregelung wurde gefunden. Binnen eines Tages absolvierte Jacqueline du Pré ihr Studium, ihre Prüfung vor dem Beit Din und das Tauchbad in der Mikwa. Sie stand zur Hochzeit bereit. Doch da meldete sich erneut das Rabbinat zu Wort: Nach einem Übertritt müssten Monate verstreichen, bevor geheiratet werden könne. So schreibe es die Halacha vor. Nun schritt der zukünftige Ehemann ein. Daniel Barenboim hatte in seiner Jugend seinen Talmud gut studiert und konterte mit der Frage: »Was wäre die größere Sünde? Sofort zu heiraten oder sofort zusammenzuleben?« Es wurde geheiratet.
Das Glück dauerte nur kurz. Wenige Jahre nach der Hochzeit wurde bei Jacqueline du Pré multiple Sklerose diagnostiziert. Sie zog in London in das behindertengerechte Haus der Primaballerina Mar- got Fonteyn, das diese Barenboim zur Verfügung gestellt hatte. (Fonteyns Ehemann war nach einem Attentat gelähmt gewesen.) Nur wenige Häuser entfernt stand die Westminster Synagogue, deren Gottesdienste Jacqueline du Pré regelmäßig besuchte. Der dortige Rabbiner Albert H. Friedlander wurde ihr Vertrauter, besuchte sie bis zu ihrem Tod fast sieben Jahre lang mindestens einmal in der Woche.
Der 2004 verstorbene Rabbiner schrieb später: »Das Judentum wurde Teil von Jacquelines Identität mit allen Zweifeln und Unsicherheiten.« Sie war spontan, aus persönlichen Gründen zu Judentum übergetreten, vielleicht auch um sich so von ihrer übermächtigen Familie zu emanzipieren. Ihre eigentliche Auseinandersetzung mit dem Judentum fand statt, als sie gezwungen war, sich aus dem Musikleben zurück-zuziehen. Wenn Jacqueline du Pré sich elend fühlte, bat sie Rabbiner Friedlander chassidische Geschichten vorzulesen. Für ihn stand fest: Jacqueline du Pré ist als Jüdin gestorben, am 19. Oktober 1987, im Alter von nur 42 Jahren.
Jacqueline du Pré, Daniel Barenboim und das Israel Philharmonic Orchestra haben 1968 Max Bruchs »Kol Nidrei« eingespielt, zu hören auf: »The very best of Jacqueline du Pré« (EMI Classics).