von Johannes Boie
»Antisemitismus – der Extremismus in der Mitte« – zu diesem Thema fand am vergangenen Sonntag im Rahmen der Reihe »Streitraum« in der Berliner Schaubühne eine Diskussionsrunde statt. »Wer sich den Antisemitismus immer noch als gesellschaftliches Randproblem zurechtlegen möchte, verharmlost die bedenkliche Wirklichkeit«, hieß es in der Ankündigung. Doch genau dies geschah auf dem Podium.
Moderatorin Caroline Emcke leitete das Gespräch zwischen dem Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik, dem Ex-Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye, der heute den Vorsitz des Vereins »Weltoffenes Deutschland« innehat, und Bernd Schulz, einem Verwaltungsbeamten der Berliner Polizei und ehrenamtlichen Vorsitzenden des Berliner Fußball-Verbandes.
Zunächst erläuterte Brumlik in einem kurzen Vortrag fünf Formen der Judenfeindschaft: vom christlichen Antijudaismus des Mittelalters über gesellschaftlich verankerten Antisemitismus bis zum offenen Hass der Islamisten. Brumlik bemerkte, dass zwischen dem auffälligen »Radau-Antisemitismus« und dem Antisemitis- mus der Mitte – um den sich der »Streitraum« drehen sollte und als dessen Beispiel Brumlik die Walser’sche Paulskirchenrede benannte – kaum Verbindungen herrschten. Trotzdem glitten seine Mitdiskutanten sofort in ebenso einfach zu bewertende wie altbekannte Themengebiete ab: Nazis auf ostdeutschen Schulhöfen, oder – Heyes Lieblingsthema – No-go-Areas in Berlin und Ostdeutschland. Alles zweifellos wichtige Themen, aber eben für die Thematik »Antisemitismus in der Mitte« zweitrangig.
Brumlik versuchte verzweifelt, das Gespräch zurück zum Thema zu bringen – weg von Nazis, »Türken« (Heye) und »dem Problem der aussterbenden Zeitzeugen« (Emcke). Die »harten Nazis« seien weder das Thema noch das Problem, da könnten gute Sozialarbeit und Polizei eine Menge bewirken. Unter Antisemitismus der Mitte verstehe er, Brumlik, eher, wenn jemand die militärische Strategie der Israelis in Palästina mit den Konzentrationslagern in Deutschland vergleiche. »Der stets medial präsente Israel-Palästina-Konflikt wird oft zum Auslöser von Antisemitismus bei eigentlich ganz normalen Leuten«, stellte Brumlik fest. Einer älteren Zuhörerin im Saal fiel vor Schreck die »taz« aus den Händen. Zum Glück war Heye da, um die Mini-wogen zu glätten. »Dieser Konflikt nimmt beiden Seiten die Seele weg«, sagte er feierlich. Freundliches Nicken im Saal. Bloß kein Streit im Streitraum!
Brumliks Hinweis auf nach Deutschland einsickernde radikal-islamische Propaganda und die Geschichte von Spiegel-Redakteur Matthias Matussek, der das Dritte Reich als »Freak-Unfall der deutschen Geschichte« verharmlost hatte, wurden ebenso kurz abgehandelt wie jener Zuhörer, der forderte, man müsse sich mehr engagieren. »Diese Diskussion heute Morgen hat doch gezeigt, dass wir uns nicht beruhigt zurücklehnen«, erwiderte eine andere Zuhörerin und sprach damit unfreiwillig das Schlusswort.