Terror auf
den Straßen
Kampagne für mehr Verkehrssicherheit gestartet
von Sabine Brandes
Der israelische Autofahrer kann viele Dinge gleichzeitig: Während er übers Handy mit dem Geschäftspartner debattiert, prüft er im Innenspiegel seine Hautbeschaffenheit, nimmt einen satten Biss vom Pitabrot und ruft dem Nachwuchs auf dem Rück sitz Verhaltensregeln zu. Eins kann der Mensch hinter dem Steuer in der Regel nicht: vorausschauend und rücksichtsvoll fahren. Kein Urteil von Reportern oder ausländischen Besuchern, sondern von der Behörde für Verkehrssicherheit (NRSA) im eigenen Land.
Der Autofahrer als desensibilisierter Krimineller, der jede Minute Menschen töten kann, die Straßen ein Schlachtfeld. Das Bild ist sicher überzogen, doch wer Israels Verkehrssituation genauer kennt, der weiß, dass es nicht gänzlich fern der Wirklichkeit ist. Fahrer, die stoppen, um Schulkinder über den Zebrastreifen zu lassen, sind die Ausnahme, Einfädeln im Reißverschlussverfahren ist unbekannt, Vorfahrt achten scheint eher Vorschlag zu sein, als unumstößliche Regel. Auf den Autobahnen, Landstraßen und in der Stadt wird gedrängelt, geschnitten, ge-
schimpft und gedroht, dass es nur so kracht.
Für die NRSA, ein Arm des Verkehrsministeriums, sind Auto- und Zweiradfahrer nicht viel besser als Terroristen. »Es bedarf keiner Autobombe, um aus Ehefrauen Witwen zu machen« oder »Du brauchst kein Selbstmordattentäter zu sein, um Waisen zu schaffen«. Die Slogans sind Teil einer Kampagne, die derzeit per Plakat, Radio und Fernsehen warnen, aufrütteln und dem Wahnsinn auf den Straßen ein Ende machen soll.
Schiri Eden, Sprecherin der NRSA, erklärt die extreme Wortwahl: »Die sanften Aufforderungen der letzten Jahre haben allesamt nichts genützt. Studien haben gezeigt, dass drastische Maßnahmen mehr bringen, unsere Kampagne soll ein echter Weckruf sein.«
Es ist tatsächlich wahrscheinlicher, hier bei einem Verkehrsunfall ums Leben zu kommen, als durch einen Terroranschlag. Während Terroristen – nicht die hinter dem Steuer – in 2004 und 2005 162 Menschen umbrachten, starben in diesen beiden Jahren fast 1.000 Frauen, Männer und Kinder als Teilnehmer im Verkehr.
Auf der Weltrangliste der Bevölkerungszahlen belegt der jüdische Staat die Nummer 101, in Sachen fatale Verkehrs- unfälle pro gefahrene Kilometer Platz 16. Dabei ist es in den vergangenen Jahren eigentlich etwas besser geworden. Die Zahl der tödlich Verletzten ist von 482 in 2005 auf 446 im Vorjahr zurückgegangen. Die niedrigste Zahl in den letzten 20 Jahren, vor allem durch sicherere Pkw und verstärkte Polizeipräsenz. Aber noch lang nicht gut genug, findet NRSA. Unlängst fanden an einem Wochenende wieder acht Menschen durch Unachtsamkeit auf den Autobahnen den Tod.
Doch selbst wenn sich alle Auto-, Lkw- und Motorradfahrer die Worte zu Herzen und den Fuß vom Gas nehmen: Nach den starken Regen der letzten Wochen sind die Bahnen übersät mit Schlaglöchern, wie etwa auf der Schnellstraße entlang der Küstenlinie. Vertiefungen mit scharfen Kanten und einem Durchmesser bis zu einem Meter sind keine Seltenheit.
Bei Geschwindigkeiten von bis zu 130 Kilometer pro Stunde können die schnell zu tödlichen Fallen werden – vor denen keine Behörde warnt.