von Heidi Hechtel
»Der Rabbiner ist ein Angestellter, nichts anderes. Ihm kann also auch gekündigt werden.« Mit dieser Feststellung rückt Meinhard M. Tenné, ehemals Vorstandssprecher und heute Ehrenmitglied im Vorstand der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW), die arbeits- rechtlichen Verhältnisse zurecht. Denn in Stuttgart hatte die Kündigung von Landesrabbiner Netanel Wurmser innerhalb der Gemeinde Unruhe ausgelöst, die sich auch nach dem Vergleich vor dem Beit Din, dem Rabbinatsgericht, nicht gelegt hat.
Zwar hat Wurmser, wie in Frankfurt am Main am 5. Februar ausgehandelt, zum 6. August selbst gekündigt, doch hofft er auf einen Neuanfang in Stuttgart. Er spüre »einen starken Rückhalt bei den aktiven Gemeindemitgliedern«, sagt er. Wenn am 22. Oktober Vorstand und Repräsentanz neu gewählt werden – das Beit Din beschloß im vergangenen November, die Wahlen vorzuziehen – dann könnte dies, so spekuliert Wurmser, zu einer veränderten Spitze und damit zu seiner Wiedereinstellung führen.
Zur Erinnerung: Am 15. Februar 2005 hatte die Repräsentanz der IRGW dem Landesrabbiner die Kündigung zu spätestens Ende März 2006 geschickt mit der Begründung, daß die angespannte Finanzlage die Einsparung dieser Stelle erforderlich mache. Inoffiziell jedoch wurde bald kein Hehl mehr daraus gemacht, daß Gemeinde und Rabbiner nicht zueinander passen, weil Wurmser für die durchaus orthodoxe Stuttgarter Einheitsgemeinde zu orthodox war. Interne Einwände, so ist zu hören, waren bereits laut geworden, bevor Wurmser im Oktober 2002 von Fürth nach Stuttgart kam. Damals habe ihn Vorstandssprecherin Barbara Traub noch als »Glücksfall« bezeichnet. Wurmser hatte im Frühjahr vergangenen Jahres gegen die Kündigung vor dem Arbeitsgericht geklagt, seine Sache aber dann dem Rabbinatsgericht anvertraut. Ausgehandelt wurde außerdem eine Abfindung in Höhe eines Jahresgehalts.
»Es ist nicht ungewöhnlich, daß sich eine Gemeinde von ihrem Rabbiner trennt«, betont Barbara Traub. Im vergangenen Jahr sei in Deutschland etwa fünf Rabbinern gekündigt worden, und auch das Beit Din habe darin ebenfalls kein Problem gesehen.
Doch oppositionelle Fraktionen, ein handfester Machtkampf um die Repräsentanz und eine offenbar eigenwillige Auslegung des Vergleichs schüren den Konflikt von neuem. Denn Wurmser, obwohl mit diesem Vergleich »sehr zufrieden«, denkt nicht wirklich daran, sich von Stuttgart zu trennen. Nach seiner Interpretation sei es die erklärte Absicht des Beit Din gewesen, der Gemeinde durch ihr Votum bei den Neuwahlen die Möglichkeit zu geben, den Landesrabbiner wieder einzustellen. Nachdem die Mitgliederversammlung im vergangenen November mehrheitlich die Rücknahme der Kündigung und vorgezogene Neuwahlen gefordert habe, fühle er sich der Gemeinde sehr verbunden und stehe einem weiteren Wirken in Stuttgart positiv gegenüber, sagt Wurmser.
»Ich bin nicht der Meinung, daß die Vorsitzende die Möglichkeit einer Neuanstellung beabsichtigt hat«, widerspricht Tenné, der die Verhandlung vor dem Bet Din miterlebt hat. Die Vorsitzende habe von Wurmser die Kündigung gefordert und auch nicht über einen späteren Termin mit sich handeln lassen. Außerdem schließe schon allein die Abfindung eine Neuanstellung aus. Was das Votum der Mitgliederversammlung betreffe, könne von einer Mehrheit keine Rede sein: »80 anwesende Mit- glieder von etwa 2.000 Stimmberechtigten stellen keine Mehrheit dar.« Obendrein habe dieser Beschluß keine Relevanz: »Mitglieder können laut Satzung nicht über personelle Fragen mitbestimmen.«
»Es handelt sich um eine kleine Gruppe, die sich um eine Person fokussiert«, glaubt Barbara Traub. Gemeint ist wohl Martin Widerker, der nach Tennés Rücktritt vor fünf Jahren selbst Vorstandssprecher war, sein Amt aber dann wegen eines Gerichtsprozesses ruhen lassen mußte und an Barbara Traub abgab. Sein Eintreten für Wurmser wird überwiegend als Schachzug gesehen, wieder an die IRGW-Spitze zu gelangen.
Alles hängt vom Ausgang der Wahl ab. Bis zum 16. September müssen die Kandidaturen angemeldet werden. Barbara Traub bleibt gelassen. Einen Richtungswechsel in der Gemeinde werde es nicht geben. »Wir bleiben eine Einheitsgemeinde mit orthodoxer Prägung.«