von Jonathan Scheiner
Im normalen Leben hat DJ Shantel einen ganz normalen Namen. Aber was DJ Shantel, alias Stefan Hantel, so alles treibt, ist alles andere als normal. Vor kurzem hat er als erster Deutscher überhaupt den BBC Award gewonnen. Der Preis gilt als Oscar der Weltmusik. Sein jüngstes Album »Bucovina Club 2« erreichte auf Anhieb Platz eins der Weltmusikcharts. Dort hielt sich das Werk ganze vier Monate lang. Erstaunlich, denn Musik aus der Bukowina, dem einstigen Buchenland, zählt nicht gerade zu jenen Klängen, die es in unseren Breiten in die Charts schaffen. Aber was ist schon normal bei diesem Mann aus Frankfurt am Main, der in seiner Musik die untergegangene Welt der Bukowina heraufbeschwört, eine Welt, in der sich die Kultur der Ostjuden mit deutscher, rumänischer oder ukrainischer Identität vermischte. DJ Shantel mixt alles zusammen. Klesmer und Gypsyklänge, Disco-Beats und fette Bläser vom Balkan. Heraus kommt eine Mischung, bei der kein Oberhemd trocken bleibt.
Von der Tanzbarkeit haben die Besucher der Jüdischen Kulturtage in Berlin schon vergangenes Jahr einen bleibenden Eindruck bekommen. Am 23. Oktober wird der Musiker mit Boom Pam aus Tel Aviv auftreten, die ebenfalls alle möglichen Stile durcheinanderwirbeln. Die Zusammenarbeit zwischen Boom Pam und DJ Shantel überrascht schon deshalb nicht, weil die Alben der beiden bei Essay Recordings in Frankfurt produziert werden. Das Label wurde gegründet von einem Mann, der im bürgerlichen Leben Stefan Hantel heißt.
DJ Shantel ist weder Eigenbrötler noch Einzelgänger. Er hat vielmehr eine Welle losgetreten. Klesmer und andere Musik aus dem Osten ist nicht länger eine Nostalgie-Veranstaltung der Alten, sondern wird von Jugendlichen gehört, die ekstatisch dazu tanzen. So etwas hat es, zumindest außerhalb der USA, noch nicht gegeben. Und selbst dort ist man schon auf den DJ aufmerksam geworden. Frank London, der berühmte Trompeter der Klezmatics und musikalischer Hansdampf in allen Schtetl-Gassen, hat den Shantel unlängst schon zum Tanz aufgefordert.
Seit 2002 erkundet DJ Shantel das musikalische Terrain der Bukowina. Doch was die Landschaft einst ausgemacht hat, ist durch die Schoa vernichtet worden. DJ Shantel bezieht sich in seiner Musik denn auch viel eher auf den mythischen Begriff Bukowina, auf das, was dahinter steckt an Geschichten, Erzählungen, Kulturen und Mentalitäten. Als Musiker interessiert ihn aber vor allem jenes typisch bukowinische Vielvölkergemisch, bei dem sich die unterschiedlichen Kulturen gegenseitig befruchtet haben: »Ich verfolge kein musikalisches Dogma und möchte nicht einen puristischen Originalsound wiederentdecken, denn den gibt es überhaupt nicht. Es geht mir vielmehr um die Bukowina als Schnittstelle zwischen Orient und Okzident, wo immer diese Grenze verläuft, ob sie jetzt in Odessa oder Czernowitz liegt oder vielleicht doch nur in Wien oder Istanbul. Dabei geht es mir gar nicht so sehr ums Detail oder eine geographische Begrenzung. Im Gegenteil. Spannend finde ich, daß sich in der Musik des Bukowina Club eine eher analytische und intellektuelle Haltung vereinigt mit dem erdigen, bauchigen und sehr verruchten Sound dieser Region.«
In der Bukowina, die im Grenzgebiet zwischen der Ukraine und Rumänien liegt, ist Stefan Hantel erst auf Umwegen gelandet. Der Frankfurter hat eine zeitlang in Israel gelebt und gearbeitet. Seine musikalische Heimat war Dancefloor und andere elektronisch-digitale Musik. Zum großen Erstaunen von Freunden und Kollegen hat DJ Shantel aber plötzlich damit angefangen, die Welt Osteuropas in seine Musik zu integrieren. Das ist kein Zufall, seine Vorfahren kommen aus Czernowitz. Aber von der Geschichte seiner Ahnen und deren Flucht aus der Bukowina hat DJ Shantel erst viel später erfahren.
Als die erste SS-Einheit 1943/1944 nach Czernowitz kam, waren die Großeltern von Stefan Hantel schon lange nicht mehr da. Sie waren zunächst nach Rumänien geflohen, weil dort viele Verwandte lebten und man sich dort, wie Hantel sagt, besser durchwursteln konnte, weil es bestechliche Beamte gab. Nur deshalb haben die Großeltern den Zweiten Weltkrieg überlebt. Später wollten sie nach Amerika auswandern, aber das hat nicht funktioniert, weil sie als Bukowiner als staatenlos galten. Im DPI-Lager in Wels bei Linz ist dann 1947 Stefan Hantels Mutter zur Welt gekommen. Irgendwann ist die Familie über die Grenze nach Deutschland gegangen, drei kleine Kinder im Gepäck. Denn es hieß, man muß wegen der riesigen Flüchtlingsströme sieben Jahre lang warten, bis man nach Amerika auswandern kann. So ist die Familie schließlich in Deutschland hängengeblieben.
Stefan Hantel erinnert sich an eine schöne und merkwürdige Kindheit. »Meine Großeltern hatten zu Hause in Mannheim eine Art Mikrokosmos kreiert. Die großelterliche Wohnung war eine Art exterritorriales Gebiet. Das heißt, sie versuchten, bloß nicht aufzufallen. Es gab keine Struktur, die Familie war quasi in der ganzen Welt zerstreut, es gab keinen Freundeskreis mehr, nichts. Die Großeltern haben nach außen zugemacht. Nur in der eigenen Wohnung wurde die ehemalige Heimat und Identität zelebriert. Was für mich als kleines Kind ganz befremdlich war bis hin zu den Sprachen, die sie gesprochen haben. Wenn sie Österreichisch gesprochen haben, dann war das so ein ›geschissenes‹ Wienerisch. Es gab auch Fetzen von Jiddisch, Ukrainisch und Rumänisch. Aber für mich als Kind war nicht klar, was ist da eigentlich los. Ich habe nur einfach gespürt, irgendwas ist da anders.«
Irgendwann hat Stefan Hantel damit angefangen, seiner Familie Fragen zu stellen. Das hatte auch damit zu tun, daß er als Musiker Einladungen aus Osteuropa bekommen hatte. Bei Reisen nach Moskau oder Sankt Petersburg hat er kleine Bausteine entdeckt, die ihn an seine Kindheit erinnert haben. »Ich kam in eine Wohnung rein, und die erinnerte mich vom Geruch her an die Wohnung meiner Großeltern. Nur Details, aber irgendwann hatte ich das Gefühl, ich bin an einem Punkt angekommen, an dem ich gerne mehr über meine Familie wissen möchte. Und hab dann angefangen, zu forschen und sämtliche Bücher zum Thema Bukowina und Czernowitz zu lesen. Ich habe alte Familienaktenordner und Geburtsurkunden ausgegraben, bin rumgefahren zu irgendwelchen Großcousinen von meiner Mutter. Schlußendlich habe ich die Reise nach Czernowitz gemacht. Ich war der Erste aus meiner Familie, der nach dem Zweiten Weltkrieg dort wieder hingereist ist.«
Die erste Reise nach Czernowitz hat sich zu einem turbulenten Wechselbad der Gefühle entwickelt. Einerseits war das die Heimat der Großeltern. Andererseits wurde deutlich, daß die triste Realität jenen Idealen und Visionen widerspricht, die diese Stadt und diese Region einst charakterisiert hatte. DJ Shantel mußte also einen Weg finden, den Mythos Bukowina für sich zu retten, um sicherzugehen, daß sich seine Phantasie nicht verselbständigt. »Für mich ist die Bukowina nicht nur ein Ort der Zerstörung und der Grausamkeiten, sondern ein Ort von großer Wirkung. So kam ich auf die Idee, dieses ganze turbulente Allerlei, was bei der Reise auf mich herabgestürzt ist, in eine Dynamik umzuwandeln, die sehr produktiv, sehr kreativ und sehr spannend ist.« So hat Stefan Hantel den Bukowina Club gestartet, zunächst nur eine regelmäßige Tanzveranstaltung in der Frankfurter Oper. Inzwischen hat DJ Shantels Bukowina Club die Welt erobert. Den Bukowiner tanzt man jetzt überall.
DJ Shantel tritt am 23. Oktober im Rahmen der Berliner Jüdischen Kulturtage im Festivalzelt im Innenhof Synagoge Oranienburger Straße auf, Beginn 19.30 Uhr.