von Wladimir Struminski
Am vergangenen Freitag legte eine von der Hamas aus dem Gasastreifen abgefeuerte Katjuscha-Rakete eine Flugstrecke von 16,5 Kilometern zurück und schlug in einem offenen Feld im Norden der israelischen Mittelmeerstadt Aschkelon ein – eine von Israel mit Sorge registrierte Eskalation des Kassam-Beschusses von Sderot. Möglicherweise wollte die islamistische Bewegung im Vorfeld des Israelbesuchs von US-Präsident George Bush signalisieren, dass sie den neu anlaufenden Friedensprozess jederzeit aus den Angeln heben kann.
In der Tat: Falls die Hamasschützen in Gasa ihren Beschussradius auf circa 20 Kilometer ausdehnen, geraten nicht nur 25.000 Bewohner in Sderot und Umgebung, sondern rund eine Viertelmillion Israelis ins Schussfeld. Die wahrscheinliche Folge solchen Beschusses wäre massive israelische Vergeltung bis hin zum Einmarsch in Gasa. Für diesen Fall aber hat die palästinensische Regierung von Mahmud Abbas und Salam Fajad bereits mit dem Abbruch der Gespräche gedroht.
Wird die Hamas die Friedensverhandlungen also im Keim ersticken? Ganz so einfach, glaubt Yoram Schweitzer vom Tel Aviver Institut für Sicherheitsstudien, ist es nicht. Der Katjuscha-Abschuss, so der Hamas-Kenner, stelle eher eine Machtdemonstration als den Beginn einer Terroroffensive dar. Letzteres läge, zumindest im Moment, nicht im Interesse der Hamas. So baut die Organisation ihre Streitkräfte und Waffenvorräte in Gasa gegenwärtig aus. Da käme eine israelische Bodenoffensive aus ihrer Sicht zu früh. Zum anderen, betont Schweitzer, kann die Hamas den Wunsch der palästinensischen Bevölkerung nach einem besseren Leben nicht einfach ignorieren. Die für den Friedensfall erhoffte Verbesserung der Lebensbedingungen und die Schaffung eines eigenen Staates erscheinen vielen Palästinensern verlockend. Ja, selbst für die Hamas ist die Aussicht auf eine Befreiung der besetzten Gebiete nicht ohne Reiz. Um sie zu erreichen, wäre ein Teil der Bewegung bereit, Israel zwar keine Anerkennung, wohl aber eine auf zehn Jahre befristete Waffenruhe zuzugestehen.
Die Hamas wolle die Friedensverhandlungen mitlenken, ohne an ihnen teilzunehmen, meint Schweitzer. Schlagen die Gespräche mit Israel fehl, ist aus der Sicht der Organisation kein Unglück passiert. Laufen sie auf einen Friedensvertrag hinaus, wird die Hamas versuchen, die Option auf eine »Befreiung« ganz Palästinas, also auf Israels Vernichtung, aufrechtzuerhalten. Auch eine Rückkehr zum massiven Terror ist möglich.
Es sei denn, andere schießen schneller. So etwa gilt der Islamische Dschihad als besonders gefährlich. Auch innerhalb der Fatah mangelt es nicht an Extremisten. Einer Schätzung zufolge geht rund ein Drittel aller Kassam-Abschüsse aus Gasa aufs Konto von Fatah-Ablegern. Am Dienstagmorgen landeten zudem zwei Katjuscha-Raketen in der Ortschaft Shlomi an Israels Nordgrenze, die von Terroristen im Libanon abgeschossen wurden. Verletzt wurde dabei niemand.