von Rieke C. Harmsen
Ein weißer Kirchturm inmitten einer beschaulichen Ortschaft, im Hintergrund grüne Wälder und ein wuchtiger Granitberg: Flossenbürg in den 1920er-Jahren. Die stark vergrößerte Postkartenansicht des oberpfälzischen Ortes markiert den Anfang der neuen, am Sonntag eröffnetenDauerausstellung in der KZ-Gedenkstätte.
Postkartenidylle statt Aufzählung von Jahreszahlen – das hat es noch nicht gegeben als Einstieg in eine KZ-Gedenkstätte. Es ist typisch für die Art, mit der sich das junge Ausstellungsteam um Gedenkstättenleiter Jörg Skriebeleit an die neue Präsentation gewagt hat. Einen ganz eigenen Blick wollte das Team auf die historischen, museologischen, wissenschaftlichen und pädagogischen Aufgaben der Gedenkstätte wagen, mit einem »explizit subjektiven Ansatz«, wie Skriebeleit erklärt. Deshalb beginnt die Schau nicht mit Zahlen und Übersichtskarten, sondern mit der Ortsgeschichte. Ganz langsam sollen die Betrachter in das Thema »hineingesogen« werden.
Wenn es um das Lager selbst geht, bleibt man bewusst nüchtern: In Vitrinen, die an Planungstische erinnern, wird zunächst die Entstehung des KZs dokumentiert. »Mein Reichsführer! Im Bild ist die erste Flaggenparade festgehalten worden. In Treue und Gehorsam« schreibt SS-Kommandant Theodor Eicke 1938 an Heinrich Himmler. Bis 1945 werden in Flossenbürg und seinen rund 90 Außenlagern in Bayern, Böhmen und Sachsen über 100.000 Menschen interniert, 30.000 werden die Haft nicht überleben.
Im mittleren Bereich, einem kleinen, fast intimen Raum wird der Alltag der Häftlinge gezeigt. In den Vitrinen liegen Häftlingsjacken und ein Schürhaken aus dem Krematorium. Originalzeichnungen von Insassen zeigen Gewalt und Hunger, Folter und Demütigung. Die Texte sind kurz, die Fotos sorgfältig ausgewählt. »Wir wollten keine Leichenberg-Fotos als Effekt einsetzen, sondern Informationen vermitteln«, sagt Ausstellungsmacher Alexander Schmidt.
Neu ist das Gewicht, das auf die Täterseite gelegt wurde. Noch nie wurde ihnen in einer Gedenkstätte so viel Raum gewidmet. Fotos und Texte erläutern nicht nur, wie die SS-Männer mit den Gefangenen umgingen, sie erhängten oder bei Massenexekutionen erschossen, sondern auch, wie sie mit ihren Familien nach Feierabend lebten. Viel Platz widmet die Schau auch den Verflechtungen zwischen dem KZ und den Wirtschaftsunternehmen und Bewohnern der Region. Dicke Auftragsbücher zeigen, wie viel Baumaterial aus dem Steinbruch für Autobahnen oder NS-Prunkbauten verwendet wurde. Briefe bezeugen, wie Bürger von Flossenbürg Zwangsarbeiter anforderten – einige dieser Bürger leben noch heute.
»Wir haben nicht nur eine historisch-politische Bildungsaufgabe, sondern sind der Würde der Opfer verpflichtet«, sagt Skriebeleit. Im zweiten großen Ausstellungsbereich im Untergeschoss wurden Biografien ehemaliger Häftlinge rekonstruiert. Jakub Szubmacher zum Beispiel. Mit 13 Jahren wurde er zusammen mit allen männlichen Juden seines polnischen Dorfes verschleppt, Mutter und Schwester zuvor erschossen. Die ersten zwei Wochen in Flossenbürg musste er im Steinbruch schuften, dann Jagdflugzeuge montieren. Er überlebte und wohnt heute in New York. Jack Terry, wie Jakub Szubmacher heute heißt, sprach zur Eröffnung der Ausstelluung .
Der »subjektive Ansatz« der Ausstellung bedeutet vor allem eines: Mut zur Lücke. Vertiefen können die Besucher die Informationen an Computern und Hörstationen im Ausstellungsraum oder im Film- und Medienraum.
Die Ausstellung entspricht dem aktuellen Stand wissenschaftlicher Forschung und pädagogischen und musealen Standards. Von Dauer wird sie dennoch, wie alle Ausstellungen in KZ-Gedenkstätten, auch nicht sein. Das ahnt wohl auch der 41-jährige Gedenkstättenleiter Skriebeleit, wenn er sagt: »Jede Generation muss ihr eigenes Ausstellungskonzept machen.«
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