jüdisches Erbe

Synagogen aus Hefeteig

von Baruch Rabinowitz

Die Straßen sind fast leer. An einem sonnigen Nachmittag gibt sich die galizische Stadt Ribadavia ihrer Siesta hin. Nur einige Touristen lassen sich blicken. Sie bewundern die mittelalterliche Stadt mit den schmalen Gassen und hübschen Häusern – und die Zeichen ihrer langen jüdischen Geschichte.
Im Schaufenster der jüdischen Bäckerei »Hermina« stehen Kuchen in Form von Synagogen, mit Türmchen und Leuchtern. Mit einem Davidstern gekrönt, lädt der kleine Laden dazu ein, süße Leckereien zu genießen, das nach uralten jüdischen Vorschriften zubereitet und in einem 500 Jahre alten Ofen gebacken wurde. Die Bäckerei gehört einem älteren Paar. Die Frage, ob die Kuchen »koscher« seien, verstehen weder der Mann noch seine Frau. Dennoch ist der Raum eine Zeitreise.
Die Bäckerin, Mitte 60, hat ein strahlendes Gesicht und leuchtend dunkle Augen. Wenn keine Kunden da sind, sitzt sie auf der Straße und beschäftigt sich mit einem kleinen Webrahmen. Sie webt traditionelle galizische Deckchen und Schals. Immer wieder kommt die Frau mit Passanten ins Gespräch. Viele Menschen stellen ihr Fragen: Ob der Ofen tatsächlich so alt ist, was an dem Gebäck so besonders ist, woher die Rezepte stammen. Auch persönliche Fragen beantwortet sie gerne. »Wir sind katholisch«, erklärt die Bäckerin, »aber unsere Vorfahren haben schon immer in Ribadavia gelebt. Es wird erzählt, daß jeder zweite in dieser Stadt mal jüdisch war, also gibt es eine fünfzigprozentige Chance, daß wir jüdisch sind.«
Es gab Zeiten, da war Ribadavia ein wichtiger jüdischer Ort. Im 14. Jahrhundert lebten in der Stadt etwa 1.500 Juden, fünfzig Prozent aller Einwohner. Schon Anfang des 11. Jahrhunderts sollen sich Juden hier angesiedelt haben. 1063 erklärte König Garcìa Ribadavia zur Hauptstadt Galiziens. Im Hofstaat lebten viele Juden, die mit den königlichen Finanzen und der Verwaltung des Reiches betraut waren. 1385 verteidigten sie ihre Heimatstadt gegen den Fürsten von Lancaster.
Zurück in die Gegenwart und die Bäckerei. Das Geschäft läuft gut. Obwohl die Preise nicht gerade günstig sind, kann fast keiner der Versuchung widerstehen, einen Kuchen aus dem Ur-Ur-Ur-Urgroßmutter-Ofen zu probieren. »Ich bin mit dieser Bäckerei verbunden, sie erfüllt mich und gibt mir die Möglichkeit, mit den vergangenen Jahrhunderten in Verbindung zu treten«, sagt die Besitzerin. Auf die Frage, ob sie vielleicht mit Judentum verbunden sei, lacht sie und antwortet, sie sei mit ihrer Heimatstadt Ribadavia verbunden. »Das ist eine jüdische Stadt. Aber wir haben seit Jahrhunderten unsere eigene Tradition. Die meisten Juden hier sind Konversos (getaufte Juden) geworden, sie wollten ihre Stadt nicht verlassen. Nicht alle Menschen sind Helden, und bei Juden ist das nicht anders. Viele sind geblieben. Auch wenn das bedeutete, ihre Religion zu wechseln.« Im 15. Jahrhundert, vor der Vertreibung der Juden aus Spanien, konvertierten die meisten unter schwerem Druck zum Christentum. »Sie haben hier ihre Familien und Geschäfte gehabt, und viele Menschen in diesem Land sind ihre Nachkommen. Wir wollen, daß die Erinnerung daran nicht verlorengeht.«
Weder die heutige Abwesenheit von Juden noch die Tatsache, daß spanische Juden 1492 vertrieben oder zwangsgetauft wurden, hat die Bewohner von Ribadavia daran gehindert, den einst jüdischen Charakter der Stadt zu betonen und zu pflegen. Fast auf jeder Tür in der Altstadt (Xuderia) ist eine Art von Mesusa befestigt. Verblüffend echt, aber sicherlich ohne Inhalt. Die Straßen und Häuser sind mit Davidsternen und Menorot geschmückt. Seit 1993 gibt es immer im Juli eine große Theaterveranstaltung, die ummittelbar mit der Geschichte von Konversos verbunden ist. Sie heißt »Istoria« – »Geschichte« – und besteht aus Szenen mit biblischen Themen. Auch La Prudente Abigail und andere Stücke des konvertierten jüdischen Dichters Antonio Enriquez Gómez aus dem 17. Jahrhundert werden gespielt. Schauspiele mit jüdisch-biblischem Inhalt gab es schon im 16. Jahrhundert; bis Ende des 18. Jahrhunderts blieben sie populär. Heute kommen jährlich zwischen 10.0o0 und 25.000 Besucher zum »Festa da Istoria« nach Ribadavia. Eine Stadt, in der immer noch 3.000 Menschen leben und jüdisches Gebäck verkauft wird. Nur Juden gibt es keine mehr.

Berlin

Schimon Stein: Jüdisches Leben in Deutschland bleibt bedroht

»Der Schutz des jüdischen Lebens ist zum deutschen Mantra geworden«, so der Ex-Botschafter

 23.10.2024

Schloss Meseberg

Scholz dankt Katar für Vermittlung im Nahost-Krieg

Das Emirat ist Vermittler, gilt aber auch als Terror-Finanzier

 23.10.2024

Nahost

Baerbock macht sich in Beirut Bild der Lage

Die Außenministerin warnt vor »völliger Destabilisierung« des Libanon

 23.10.2024

Nahost-Krieg

London schränkt Waffenexporte nach Israel ein

Staatssekretärin Anneliese Dodds spricht von einer Begehung mutmaßlicher Kriegsverbrechen

 23.10.2024

Video

Was Sinwar kurz vor dem Überfall auf Israel machte

Die israelischen Streitkräfte haben Videomaterial veröffentlicht, das Yahya Sinwar am Vorabend des Hamas-Überfalls am 7. Oktober 2023 zeigt

 20.10.2024

Gaza

100.000 Dollar für jede lebende Geisel

Der Unternehmer und ehemalige Sodastream-CEO Daniel Birnbaum hat den »guten Menschen in Gaza« ein Angebot gemacht

 20.10.2024 Aktualisiert

Feiertage

Chatima towa, oder was?

Was von Rosch Haschana über Jom Kippur bis Sukkot die korrekte Grußformel ist

von Rabbiner Yaacov Zinvirt  24.10.2024 Aktualisiert

Baden-Württemberg

Jüdisches Mosaik in Karlsruhe beschädigt

War es ein Unfall, Vandalismus oder eine gezielte Tat?

 15.10.2024

80. Jahrestag

Gedenkstätte Sachsenhausen erinnert an ermordete KZ-Häftlinge

Auch mehrere Kinder und Enkel von Opfern nahmen teil

 14.10.2024