von Gabriele Lesser
»Diese Synagoge ist eine Synagoge, ist ein Schwimmbad – ist eine Synagoge?« Polens Oberrabbiner Michael Schudrich schwankt leicht auf dem Holzsteg. Ein Lichtspot ist auf ihn gerichtet. Hinter ihm hängt eine meterhohe Leinwand, auf die Toraschrein, Holzvertäfelung und Kerzenkandelaber der einstigen Posener Synagoge projiziert werden. Unter ihm wirft das spiegelglatte Wasser des Schwimmbeckens die Projektion zurück. Seit dem Nazi-Umbau 1942 dient die Posener Synagoge als Schwimmbad. Auch die Kommunisten änderten daran nichts. Fast alle Kinder in Posen lernten hier seit 1945 das Schwimmen.
Wie sphärische Klänge streichen immer lauter werdende Summ-Töne übers Wasser. »Wir stehen heute in einer virtuellen Synagoge«, ruft Schudrich den rund 1000 Gästen zu, die hinter dem Becken und auf der ehemaligen Frauenempore Platz gefunden haben. »Vielleicht wird dieses Schwimmbad eines Tages wieder eine echte Synagoge sein«. Das Summen wird lauter, geht in fast schon triumphales »Schma-Israel-Gebet« über.
Während in Polens Hauptstadt Warschau nationalistische Töne die Oberhand
gewonnen haben und Politiker sich bemühen, das Rad der Geschichte zurückzudrehen, entdecken die Breslauer, Danziger und Posener ihre Geschichte neu. Der von der römisch-katholischen Kirche Polens ins Leben gerufene »Tag des Judaismus« soll eigentlich dem Kennenlernen der jüdischen Religion dienen. Doch zu mehr als einem verkrampften Gottesdienst mit ein paar Alibi-Juden reicht es in Warschau und den meisten Städten Polens nicht. Ganz anders der Posener Tag, der mit seinem fast zweiwöchigen Programm inzwischen auch Gäste aus dem Ausland anzieht.
»Ich hatte große Zweifel, bevor ich hierher kam«, sagt Ilona Dworak-Cousin aus Tel Aviv. »Ich stamme ja ursprünglich aus Posen, kenne den hiesigen Antisemitismus, den die Kirche über Jahrzehnte mitgetragen hat. Um so überraschter bin ich von dieser positiven Entwicklung.« Seit einem Jahr ist die promovierte Pharmazeutin Vorsitzende des Freundschaftsvereins Israel-Polen. »In dem Maße, wie die Polen die jüdische Geschichte ihres Landes entdecken, sollten auch die Israelis die Geschichte und Gegenwart Polens kennenlernen«, erklärt sie nach dem Konzert in der virtuellen Synagoge. »30.000 junge Israelis kommen jedes Jahr nach Polen. Und was lernen sie hier kennen? Nur Nazi-Konzentrationslager. Warum nicht auch lebendiges Judentum in Breslau, Lodz oder Posen?«
Jerzy Stranz ist die Anspannung selbst nach dem Höhepunkt dieses X. Tags des Judentums noch anzusehen. »Wir haben ein Jahr lang an der Projektion der früheren Innenausstattung gearbeitet. Und jetzt wäre sie ums Haar ins Wasser gefallen – im wahrsten Sinne des Wortes«, stöhnt der Priester. Bei ihm laufen die Fäden für die Großveranstaltung zusammen. »Wir wissen in Posen sehr wenig über die Geschichte der Posener Juden. Daran ist die Kirche auch nicht ganz unschuldig. Wir haben da wohl etwas gutzumachen.«
Er häuft sich koscheren Nudelsalat auf den Plastikteller und setzt sich zu Rabbiner Schudrich an den Tisch: am nächsten Tag sollen Schudrich und der Posener Erzbischof Gadecki die »Menora des Dialogs« erhalten. Einige Details sind noch zu klären. Tags zuvor hatte er gemeinsam mit Wojciech Suchocki, dem Direktor des Nationalmuseums in Posen, die Ausstellung: »Posener Juden im 19. und 20. Jahrhundert« eröffnet. »Wir wissen so wenig über die Geschichte der Juden in unserer Stadt«, sagt auch Suchocki. Der Kunsthistoriker hielt ein grün schimmerndes Likörfläschchen in die Höhe. »Das hat mir meine Frau gegeben, nachdem wir gemeinsam den Ausstellungskatalog durchgesehen hatten.«
»Hartwig Kantorowicz« steht auf dem Fläschchen. Das war ein berühmter jüdischer Likörfabrikant in Posen, dessen Bungalow-Laden mit Vorgarten und Bäumen sogar als Postkartenmotiv Furore machte. »Ich hatte keine Ahnung«, bekennt Suchocki und dreht das Fläschchen in den Händen. »Und dabei steht es schon seit Jahren bei uns zuhause«.
Auch die Ausstellungsmacherin Tamara Sztyma-Knasiecka gibt sich bescheiden: »Das ist nur eine erste Annäherung ans Thema. Aber im letzten Jahr ist unglaublich viel in Bewegung geraten. Die Leute beginnen sich für das Judentum zu interessieren. Offen und positiv. Das ist etwas völlig Neues.«