von Tobias Müller
Am Ende wechselte er ins Hebräische: »Chag Schawuot Sameach«, schloss EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso seine Rede am vergangenen Mittwochabend. Es war der Höhepunkt einer an Symbolik reichen Zeremonie in der Brüsseler Hauptsynagoge. In feierlichem Rahmen wurde das Gebäude als Europäische Großsynagoge neu gewidmet. Auf Einladung der Konferenz der Europäischen Rabbiner (CER) enthüllte der Präsident der EU-Kommission eine Gedenkplakette und würdigte vor zahlreichen europäischen Rabbinern und EU-Diplomaten die »essenziellen« Verdienste des Judentums beim Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg. Die jüdische Diaspora nannte Barroso »gleichsam einen Vorläufer des vereinten Europa«.
Die Integration des Judentums in den europäischen Einigungsprozess wurde in dem Festakt als historisches Vermächtnis herausgestellt. Der bekannte Antwerpener Chasan Benjamin Muller gedachte mit dem Gebet El Mole Rahamim der Opfer des Holocaust, ehe Brüssels Oberrabbiner Albert Guigui in seiner Ansprache mit einem deutlichen »Nie mehr wieder!« eine Brücke in die Zukunft schlug. Europa als politische Institution solle dies gewährleisten. Der britische Oberrabbiner und Vizepräsident des CER, Jonathan Sacks, nannte es einen »Sieg über die Tragödie im Namen der Hoffnung«, dass die Juden Europa nach dem Holocaust nicht den Rücken gekehrt, sondern einen Teil des Zerstörten wieder aufgebaut hätten. Zusammen mit dem Chor der Europäischen Union trug Muller ein spezielles Gebet des Straßburger Rabbiners René Gutman für die Einheit, Stärke und Freiheit Europas vor. Philip Carmel, International Relations-Direk- tor des CER, sagte, immer dann, wenn der Kontinent zerstritten war, hätten Juden wie keine andere Bevölkerungsgruppe unter den Stiefeln rechter und linker Diktaturen gelitten. Deshalb hätten sie nun ein besonderes Interesse an der Einheit des Kontinents.
Mit der Einrichtung einer »Europäischen Großsynagoge« will die CER an eine Tradition des 19. Jahrhundert anschließen: Im Zuge der endlich erreichten Religionsfreiheit wurden in den Zentren vieler europäischer Metropolen Großsynagogen errichtet. Sie drückten die Selbstverständlichkeit jüdischen Lebens ebenso aus wie den Status der Juden als gleichberechtigte, loyale Bürger der damaligen Nationalstaaten. Philip Carmel sieht die europäische Großsynagoge analog dazu. »Es ist dasselbe Statement: Heute sind Juden vollwertige und aktive Bürger des vereinigten Europas.« Brüssels Hauptsynagoge, die im Jahr 1878 errichtet wurde und die deutsche Besetzung Belgiens unzerstört überstand, soll nach dem Willen des CER daher dem gesamten europäischen Judentum gewidmet sein. Bisher war sie das religiöse und kulturelle Zentrum der rund 20.000 Brüsseler Juden.
Während der Zeremonie sprach José Manuel Barroso von einem »Zeugnis des Vertrauens zu Europa«. Im Namen der CER lobte Philip Carmel im Gegenzug das »Vertrauen zum europäischen Judentum« sowie die Rede Barrosos als »klares Bekenntnis zur Bekämpfung des Antisemitismus«.
Verschiedene Studien aus den vergangenen Jahren, darunter der Anti-Defamation League (ADL) und des European Monitoring Center on Racism and Xenophobia (EUMC), belegen einen deutlichen Anstieg judenfeindlicher Gesinnung und Taten gerade in Westeuropa.
Die Einrichtung der europäischen Großsynagoge gilt dagegen auch als Reaktion auf die Initiative der EU-Kommission, den interreligiösen Dialog, Toleranz und Verständnis zu fördern. Im Vorfeld der Einweihung bekannte sich Barroso, der in dieser Absicht erst kürzlich mit Vertretern der monotheistischen Religionen zusammenkam, zu diesem Ziel: »In einer Gesellschaft, in der Gewalt und Furcht immer präsenter sind, ist die EU überzeugt, dass der europäische Prozess nicht nur auf wirtschaftlichen Interessen basiert, sondern auch auf religiösem Wohlbefinden.«