USA

Suchtgefahr

von Chanan Tigay

»Ich trank mehr Alkohol am Tag, als ein menschlicher Körper aushalten kann«, sagt Peter Gould, ein orthodoxe Jude in seinem Haus in Baltimore. Er rattert eine schwindelerregende Litanei alkoholischer Getränke herunter, die er täglich konsumierte. Schon als Kind verbrachte er seine Bar-Mizwa-Feier damit, sich im Badezimmer zu übergeben, nachdem er zuviel getrunken hatte. Als er 31 war, sagte ihm der Arzt, seine Leber werde bald »irreparabel geschädigt sein«.
Vielleicht ist Goulds Beispiel extrem, einzigartig aber ist es nicht. Alkohol- und Drogenmißbrauch gibt es in jedem Bereich des amerikanischen Judentums. Suchthilfeexperten sehen Gould jedoch als Teil eines wachsenden Problems innerhalb der Orthodoxie.
Auch orthodoxe Juden sind der Meinung, die religiöse Lebensweise biete einen Einstieg wie auch ein Deckmäntelchen für die Sucht: in Form der Verfüg- barkeit und des Konsums von Alkohol bei religiösen Feiern. Gewohnheiten, die sich bei diesen Festen entwickeln, können zum Alkoholismus führen. Jemand trinkt bei einer morgendlichen Beschneidung, am Abend trinkt er bei einer Verlobung. Später in der Woche geht er auf eine Hochzeit, und am Schabbat gibt es eine Bar-Mizwa. Auf jeder Veranstaltung wird Alkoholisches ausgeschenkt. In den Synagogen werden nach dem Gottesdienst oft Schnaps, Whiskey und andere alkoholische Getränke angeboten.
»Ich dachte, die meisten Drogensüchtigen und Alkoholiker seien der Religion längst entfremdet, aber das stimmt nicht«, sagt Adrienne Bannon, Geschäftsführerin der Jewish Recovery Houses von Baltimore, wo jüdische Drogensüchtige und Alkoholiker aufgenommen werden. Ein Teil des Problems liegt nach Meinung von Experten darin, daß die Menschen es jahrelang nicht glauben wollten, daß Drogen Eingang in orthodoxe Gruppen gefunden hatten.
Lou Jacobs, Geschäftsführer der jüdisches Suchthilfestelle in Baltimore, glaubt, daß beinahe die Hälfte seiner Fälle aus der orthodoxen Gemeinde stammt. Das ist eine »dramatische Veränderung«, verglichen mit der Zeit vor fünf Jahren, sagt er, als nur 10 bis 15 Prozent seiner Klientel orthodox waren. »Es gibt zweifellos ein Bewußtsein dafür, daß dieses Problem nicht von der Gemeinde mit ihren eigenen Mitteln still und unauffällig gelöst werden kann«, sagt Jacobs. »Wir mußten ein paar Mal erleben, daß junge Menschen an einer Überdosis starben. Diese Fälle haben die Alarmbereitschaft in der Gemeinde erhöht«, sagt Rabbiner und Psychiater Abraham Twerski.
Veronica Rose, deren Eltern zu einer Chabad-Synagoge gehören, sagte, sie sei durch einen Freund zum Drogenmißbrauch getrieben worden. Sie fing vor fünf Jahren mit Kokain an. Was als gelegentlicher Feierabendbrauch anfing, wurde bald zur ausgeprägten Sucht. »Ich gab die ganze Erbschaft meiner Großmutter für Drogen aus«, sagt Rose, deren Bruder Alkoholiker ist. Sie begann sich Gedanken zu machen, wie sie zu einem drogenfreien Leben zurückfinden könnte. Heute ist sie Bewohnerin in Tovah House, einem Kurheim für Frauen in Baltimore. Seit Dezember lebt sie ohne Drogen.
Beobachter sagen, es sei leicht für orthodoxe Jugendliche an Drogen zu kommen. »Das Problem ist an den Jeschiwas genauso groß wie an den öffentlichen Schulen«, sagt Daniel Vitow, Schulleiter der Hebrew Academy High School in Long Island, New York. »Unsere Kinder leben in derselben Gesellschaft wie alle anderen auch.« An Schulen, an denen das Problem brisantere Dimensionen angenommen hat, müssen sich Schüler Drogentests unterziehen.
Orthodoxe Suchtkranke erhalten aber oft keine Behandlung. Bis vor kurzem seien die Mitglieder der orthodoxen Gemeinde durchschnittlich zwei Jahre später behandelt worden als Suchtkranke allge- mein. Konkrete Zahlen über Süchtige in orthodoxen Gemeinden sind schwer zu erhalten. Aber Einzelfallberichte deuten darauf hin, daß die Zahl von alkohol- und drogenabhänigigen Juden drastisch wächst.
»Ich glaube, die jüdische Gemeinschaft hat viel an Einsicht gewonnen, und viele Einrichtungen wurden geschaffen«, sagt Rabbiner Kerry Olitzky, Suchtexperte der orthodoxen Gemeinde in New York. »Wir haben aber noch einen sehr langen Weg vor uns, zu gehen bis wir wirklich gewappnet sind, uns dieser Herausforderung zu stellen.«

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