von Eva C. Schweitzer
Jeremy Ben-Ami blickt auf eine bemerkenswerte Familiengeschichte zurück. Vor 125 Jahren kamen seine Urgroßeltern aus Weißrussland in Jaffa an. Ben-Amis Vater Yitshaq soll der erste Junge gewesen sein, der in Tel Aviv geboren wurde. Yitshaq schloss sich den Revisionisten um Zeev Jabotinsky und Menachem Begin an, die gegen die britischen Besatzer für ein freies Palästina kämpften, verhandelte mit Adolf Eichmann, Juden nach Palästina zu bringen, und ging 1939 als Mitglied der Bergson-Gruppe in die USA. Er drängte die jüdischen Organisationen dort, sich dafür einzusetzen, dass flüchtende Juden aus Europa in Amerika aufgenommen wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er Direktor der American League for a Free Palestine, die Waffen an die Irgun schmuggelte.
»Ich selber«, so erinnert sich Jeremy Ben-Ami, »bin in Jerusalem aufgewachsen, als Teil einer Familie, die die Pogrome der Zaren, die Gaskammern der Nazis und die Kriege der Araber überlebt hat. Und ich sage: Das, was in den USA als pro-israelische Politik gilt, dient nicht den Interessen des Landes, für das meine Familie gelebt hat und für das sie gestorben ist.«
Das soll sich ändern. Deshalb hat Jeremy Ben-Ami – er war Berater von US-Präsident Bill Clinton – eine Lobbyorganisation gegründet, die sich für eine linke, friedlichere Israelpolitik einsetzt. J Street heißt die Gruppe, und das ihr angegliederte Political Action Committee, das befugt ist, Spenden zu sammeln, heißt JStreetPAC. Diesem steht Ben-Ami ebenfalls vor. J Street ist ein Wortspiel, das »J« steht für Jew, Jude, andererseits sitzen die mächtigen Lobbies von Washington in der K-Street – darunter AIPAC, das American-Israel Public Affairs Committee, die einflussreichste pro-israelische Organisation der USA. Und dieser will J Street Paroli bieten.
Allerdings: Eine J Street gibt es in Wa-shington nicht. Und so ist der Name auch ein Zeichen dafür, dass eine Lücke geschlossen werden soll. »J Street«, meint Ben-Ami, »füllt ein Vakuum in der US-Politik. Amerikanischen wie auch israelischen Interessen wäre am besten mit einer Lösung des Nahostkonflikts gedient.« Denn die Rechten, die derzeit die Israelpolitik der USA dominierten, schadeten in Wirklichkeit dem Land. Die Mehrzahl der amerikanischen Juden, sagt Ben-Ami, wähle demokratisch, sei eher liberal und an einem dauerhaften Frieden im Nahen Osten interessiert.
Die meisten der rund 90 Mitglieder von J Street kommen aus dem demokratischen Lager. Zu ihnen zählen Alan Solomont, der frühere Finanzchef des Democratic National Committee, Yossi Alpher, ein ehemaliger Mossad-Stratege und Berater des israelischen Ex-Ministerpräsidenten Ehud Barak, Shlomo Ben Ami, Baraks Außenminister, und Daniel Levy, der Sohn des britischen Lord Michael Levy, der seinerzeit der wichtigste Spendensammler für die Labour Party unter Tony Blair war. Auch Vertreter der Gruppen Peace Now und Brit Tzedek v’Shalom sind dabei.
J Street tritt für eine Zweistaatenlösung in den Grenzen von 1967 ein, außerdem müsse Israel die Besiedlung der Westbank beenden, und zwar bald. »Das Zeitfenster für die Zweistaatenlösung schließt sich«, warnte Ben-Ami in der Washington Post. Er will auch, dass die Vereinigten Staaten die Palästinenser humanitär unterstützen und mit dem Iran um eine politische Lösung im aktuellen Konflikt verhandeln. Zudem meint er, die De-fakto-Koalition zwischen jüdischen Gruppen und den rechtsgerichteten christlichen Zionisten sei gefährlich. Allerdings tritt auch J Street, wie AIPAC, dafür ein, dass die USA ihre Militärhilfe an Israel fortsetzen – rund drei Milliarden Dollar im Jahr –, denn das Land befinde sich nach wie vor in einer gefährlichen Situation.
Die neue Lobby will Politiker in Wa-shington unterstützen, die ihre politischen Ziele teilen. Jedoch hat J Street weniger Mitglieder, als ihre Gründer es gehofft hatten. Laut der jüdischen Wochenzeitung Forward sollen mehrere Vertreter jüdischer Gruppen abgesagt haben, da sie Ärger fürchteten. Auch das Israel Policy Forum, das sich für Frieden einsetzt, ist nun doch nicht mit an Bord, genauso wenig wie der Wall-Street-Finanzier George Soros. Und die bislang eingegangenen Spenden halten sich in den bescheidenen Grenzen von 750.000 Dollar. Das dürfte kaum ausreichen, um AIPAC Paroli zu bieten. Die Organisation, die seit mehr als 50 Jahren Lobbyarbeit macht, verfügt über einen Jahresetat von 50 Millionen Dollar. Wenn AIPAC einlädt, kommen alle Politiker – von Vizepräsident Dick Cheney über John McCain bis Barack Obama.
Auch in Israel begegnen manche der neuen Lobby mit Misstrauen. Isi Leibler, ein einflussreicher Konservativer und der Vorsitzende des Israel Diaspora Committee des Jerusalem Center for Public Affairs, hält J Street sogar für eine »signifikante Bedrohung« der Beziehung zwi- schen den Vereinigten Staaten und Israel. »Viele Unterstützer meinen es gut, aber sie unterminieren die Sicherheit und die Stärke Israels«, schrieb er in der Jerusalem Post. Leibler ist nicht zu unterschätzen: Der frühere Vizepräsident des World Jewish Congress war die treibende Kraft hinter dem Sturz von Ed Bronfman und Israel Singer als Präsident und Chairman des Weltverbandes.