von Rafael Seligmann
Und es gibt sie doch, die als »jüdisches Wunschdenken« apostrophierte deutsch-jüdische Symbiose. Sie ist allzu menschlich, rund und unberechenbar wie die Erde und ihre Bewohner. Kosmopolitisch ist sie obendrein, die deutsch-jüdische Fußballsymbiose. Mit der Fußballbegeisterung, die bis zur Besessenheit geht, ist es wie mit dem Zionismus. Man muss nicht unbedingt wahnsinnig oder meschugge sein, doch es hilft ungemein. Ist Fußball ein besonders jüdischer Sport? Und wenn ja, warum finden ihn Juden so anziehend? Auf dem Verrückten-Feld stehen doch auch Italiener, Türken, Holländer, Brasilianer und Deutsche.
Vor einigen Wochen unterhielt ich mich mit dem ehemaligen HSV-Trainer Huub Stevens. Wir redeten über Gott, die Welt und vor allem über das runde Leder. Doch nicht über alles, wie mir bald bewusst wurde. Denn zwei Tage später sprach mich Otto Rehagel im Berliner Café Einstein an. Als Erstes erzählte mir der deutsche Trainer der griechischen Nationalmannschaft, sein Team spiele in der gleichen Gruppe wie Israel um die Teilnahme an der Fußballweltmeisterschaft 2010 in Südafrika. Warum sagte er das ausgerechnet mir? Persönlich kannte er mich nicht. Doch offenbar als Journalist oder Schriftsteller – kurz, er hatte offenbar von mir als Musterjude gehört. Seine wahrscheinliche Schlussfolgerung ist nachvollziehbar: Seligmann ist Jude, Israel ist auch jüdisch – da besteht also ein Zusammenhang.
Otto Rehagel ist ein kluger Gesprächspartner. Wir unterhielten uns vor allem über Fußball. Aber auch über Deutsche und Juden. Da ist sie wieder, die Vergangenheit, die nicht vergehen will! Der Niederländer Stevens hingegen interessiert sich für allerlei. Das Thema »Juden« zählt bei ihm, wie bei den meisten Menschen außerhalb Deutschlands und des Nahen Ostens, nicht dazu. Anders als bei den Nachfahren Kains und Abels: Deutsche und Juden. Wir kommen von unserer Geschichte – und daher voneinander – nicht los. Statt deutsch-jüdischer Symbiose sollte man also eher von einer wechselseitigen Zwangsneurose sprechen.
Zurück zum Fußball. Ist er nun ein besonders jüdischer Sport? Einiges spricht dafür. Beispielsweise, dass die beiden teuersten Klubs der Welt, Manchester United und der FC Chelsea, die soeben das Finale der Champions League austrugen, Besitzer mit jüdischem Hintergrund haben: Roman Abramowitsch und Malcolm Glazer. Was lässt sie Hunderte von Millionen in Fußball investieren? Geld verdient man, wie Abramowitsch und mancher Scheich bestätigen können, besser mit Erdöl. Fußball ist für die meisten Investoren zumeist ein Verlustgeschäft.
Die jüdische Liebe zum Fußball ist nicht neu. In Deutschland galt der FC Bayern München dank seines langjährigen jüdischen Präsidenten Kurt Landauer (1913-33 und 1947-1951) vor und nach den Nazis als »Judenklub«, ebenso wie in Holland Ajax Amsterdam. Bei Auswärtsspielen belieben Hooligans die Amsterdamer mit antisemitischen Schmähungen zu beleidigen. In Israel gefallen sich die Rowdy- Schlachtenbummler von Beitar Jeruschalajim darin, arabische Mannschaften und Spieler mit dem Ruf »Tod den Arabern!« zu belegen.
Milliarden Menschen in aller Welt erfreuen sich am Fußball oder ärgern sich bei Niederlagen schwarz. Deutsche, Juden und jüdische Deutsche tun dies ganz besonders. Dabei geht es längst nicht nur um die Faszination des Spiels mit dem Ball, die hierzulande besonders intensiv gepflegt wird. Nirgends gibt es so viele aktive Fußballspieler, Vereine und Vereinsmeier wie in Deutschland. Entscheidend aber sind die Seelen der Menschen. Und da gibt es erneut eine deutsch-jüdische Gemeinsamkeit. Zu spät gekommene Nationen mit schwachem Selbstwertgefühl brauchen permanente Bestätigung. Was eignet sich dafür besser als Fußball, das populärste Spiel in Israel wie in Deutschland?
Es gibt auch andere Sportarten, in denen sich die Sehnsüchte von Deutschen und Juden austoben können. Boxen beispielsweise. Am 8. Juni 1933 kämpfte der Amerikaner Max Baer in New York gegen Ex-Weltmeister Max Schmeling. Um den Deutschen zu provozieren und sich selbst Mut zu machen, ließ sich Baer einen Davidstern auf seine Shorts sticken. Baer gewann. Ein Nazi war Schmeling nicht. Sein Manager, Max Jacob, war Jude. In Deutschland verhalf Schmeling Juden zur Flucht.
Einerlei, ob im Boxring oder auf dem Fußballrasen, die Juden wollen nicht als Opfer gelten. Sondern ihre Kraft und ihre Geschicklichkeit demonstrieren. Das werden sie auch in Zukunft tun. Wir warten darauf, dass Israel sich die Teilnahme zur Weltmeisterschaft und zur nächsten Europameisterschaft erspielt und erkämpft.
Der Autor ist Schriftsteller. Sein Buch »Der Musterjude« erscheint soeben bei dtv in einer Neuausgabe.