von Clemens Wergin
In der arabischen Welt hat man die Hisbollah zum Sieger des Libanonkriegs erklärt. Auch in Israel hat die Abrechnung begonnen für das, was manche als Punktsieg, andere als Patt, fast alle aber nicht als den entscheidenden Sieg gegen Hisbollah sehen, den man angestrebt hatte. Tatsächlich ist aber die Frage, wer am Ende größeren strategischen Nutzen aus dem Schlagabtausch zieht, noch offen. Entscheidend wird sein, ob es der UN-Blauhelmtruppe gelingt, die Hisbollah von Israels Grenze fernzuhalten. In den zehn Tagen nach Inkrafttreten des Waffenstillstandes drängt sich allerdings der Eindruck auf, daß die UN mit ihrem Mißmanagement schon dafür sorgen wird, daß Israel den Krieg am Ende noch verliert und die Hisbollah in ihre alten Stellungen zurückkehrt. Der diplomatische Poker darüber, wer wie viele Truppen stellt, dauert zwar noch an. Von zwei Szenarien ist im Moment aber das negative wahrscheinlicher.
Südlibanon wird erneut zum Mini-Iran.
Als noch Bomben auf den Libanon fielen, war die Empörung in der Welt groß. Kofi Annan und viele EU-Länder wollten einen sofortigen Waffenstillstand. Der konnte, da war man sich weitgehend einig, nur von einer etwa 15.000 Mann starken UN-Truppe mit robustem Mandat gewährleistet werden. Sie sollte es dem Libanon ermöglichen, seine Souveränität nach Süden auszudehnen, die Hisbollah zu entwaffnen und so die Grenze zu Israel sichern helfen.
Davon ist nicht viel geblieben. Von der einst geforderten kompletten Entwaffnung der Hisbollah ist in der Resolution 1701 keine Rede mehr. Und das Ziel, 15.000 möglichst gut ausgebildete und ausgestattete Soldaten aus Industrieländern zusammenzubekommen, liegt in weiter Ferne. Wie stets in Nahostfragen sind die Europäer immer für große Worte zu haben, selten aber für effektive Politik. Nach dem gewünschten Waffenstillstand haben sich die meisten in die Büsche geschlagen. Neben den kleinen deutschen und französischen Kontingenten hat bisher nur Italien größere Truppenverbände in Aussicht gestellt. Substantielle Zusagen kommen bisher vor allem aus Drittweltländern wie Bangladesch, Indonesien und Malaysia, die Israel nicht einmal diplomatisch anerkannt haben. Selbst wenn diese Truppe einigermaßen robuste Einsatzregeln von der UN bekommt, so wäre sie doch kaum in der Lage, die bestgerüstete und besttrainierte Miliz der Welt in Verlegenheit zu bringen. Die kosmetisch aufgehübschte Unifil-Truppe hätte genug damit zu tun, nicht selbst ins Visier der Hisbollah zu geraten. Letztlich könnte die »Partei Gottes« wieder schrittweise in den Südlibanon einsickern, diejenigen Bunker wieder beziehen, die die Israelis übriggelassen haben, ihre Waffenverstecke neu anlegen und aufstocken und die Bevölkerung tyrannisieren.
Das Ergebnis wäre zwar ein anderer Status quo, aber für Israel kaum ein besserer. Weil die Hisbollah dann wieder bis an die Zähne bewaffnet an Israels Grenze steht, mit dem Unterschied jedoch, daß sie diesmal nicht nur die Südlibanesen und ein paar Unifil-Soldaten als Geiseln in einem neuen Krieg nehmen kann, sondern gleich Tausende von Blauhelmsoldaten und die libanesische Armee noch dazu. Möglicherweise haben wir dann eine Situation, in der zwar die Hisbollah Krieg gegen Israel führen kann, Israel aber gar nicht mehr zurückzuschlagen vermag, weil die Raketenwerfer der Hisbollah neben Camps italienischer, französischer und anderer EU-
Soldaten aufgestellt werden. Wenn die internationale Gemeinschaft das nicht will, müßte sie ihren seit dem Waffenstillstand eingeschlagenen Kurs schnell und dramatisch ändern. Das hieße:
Israels Grenze wird effektiv gesichert.
Im Kern geht es darum, zu verhindern, daß Iran mithilfe der Hisbollah erneut eine direkte Grenze zu Israel erhält. Das heißt nicht, daß die Blauhelme zu Besatzern werden sollen. Es heißt aber, daß sie die Nachschublinien der Hisbollah nach Damaskus unterbinden und bereit sein müssen, auch Konflikte einzugehen. Etwa, indem sie Waffenverstecke und Bunker der »Gotteskrieger« aufspüren und zerstören. Ihrer militärischen und ordnungspolitischen Funktion wird die UN-Truppe ohne eine hohe Zahl an professionellen und gut ausgerüsteten Soldaten nicht nachkommen können.
Genausowichtig ist, daß sich diese Truppe des planerischen Know-hows und der Geheimdienstkenntnisse der EU-Staaten und der Nato bedienen kann. Deshalb ist die europäische Verweigerungshaltung so verantwortungslos. Es ist zwar zu begrüßen, wenn sich auch muslimische Staaten beteiligen. Aber der Kern dieser Friedens-truppe muß aus Nato- oder EU-Kräften bestehen, um Erfolg zu haben. Wenn sich die Staaten Europas nicht bereitfinden, mehr zu tun, um den Frieden vor ihrer Haustür zu sichern, ist es besser, die ganze Aktion gleich abzublasen. Besser jedenfalls, als daß weitere Blauhelme zu Geiseln der Hisbollah werden, wenn der dann absehbare nächste Krieg ausbricht.
Clemens Wergin ist Meinungsredakteur beim Berliner Tagesspiegel.