Stromfresser Klimaanlagen
Wenn es heiß wird, steigt der Energieverbrauch
von Wladimir Struminski
Tali schwitzt. Peinlich genug. Noch peinlicher: Auch die Gäste schwitzen. Nach dem üppigen Schabbatessen trieft es von den Gesichtern. Auf den T-Shirts breiten sich Schweißflecken aus. Bei den sommerlichen Hochtemperaturen – in Jerusalem werden an diesem Tag 33 Grad im nicht vorhandenen Schatten gemessen – helfen die offenen Fenster und der Ventilator nicht viel. Mit grimmiger Miene erklärt Tali ihrem Gatten: »Lior, es ist mir egal wie hoch unser Überziehungskredit ist. Morgen bestelle ich eine Klimaanlage.« Lior nickt. Bereits am Sonntag wird gekauft.
Wie den beiden Eheleuten geht es vielen Israelis. Allein in diesem Sommer werden mindestens 150.000 Familien die heiß ersehnte Kühlung in den heimischen vier Wänden installieren. Damit steigt der An-
teil der Haushalte, die sich den einstmals unvorstellbaren Luxus einer Klimaanlage gönnen, auf fast drei Viertel.
Kühltechnik feiert aber nicht nur im trauten Heim Triumphe. Autos dürften seit den neunziger Jahren nur noch mit eingebauter Klimaanlage verkauft werden. Der Zwang dient der Unfallprävention: Wer einen kühlen Kopf behält reagiert auch als Autofahrer schneller und besonnener auf Gefahren. In Büros, Restaurants und im Handel ist Vollklimatisierung eine Selbstverständlichkeit. Nach amerikanischem Vorbild ist Israel mit geschlossenen Einkaufszentren übersät. In den Großbauten herrscht Rundumkühle. Ob der Kunde einkauft, speist oder einfach nur Rolltreppe fährt, er braucht eher einen leichten Pulli denn einen Fächer. Die Empfehlung der staatseigenen Stromgesellschaft IEC, den Temperaturregler nicht unter 25 Grad Celsius zu stellen, schlagen die Israelis in den heißen Wind. Das hat Folgen. In diesem Sommer entfallen bereits 40 Prozent des Stromverbrauchs auf Klimaanlagen; in den heißen Stunden des Tages deutlich mehr. Die Beanspruchung der Kraftwerke erreicht immer neue Rekordwerte. Am 29. Juli überschritt die Bedarfsspitze erstmals in Israels Geschichte die Zehntausend-Megawatt-Marke. Nach IEC-Angaben wurde um 14.30 Uhr ein Leistungsniveau von 10.040 Megawatt gemessen – ganze vier Prozent unter der zu diesem Zeitpunkt landesweit verfügbaren Kapazität.
So suchen die Planer händeringend nach neuen Energiequellen. Innerhalb der nächsten zehn Jahre, so das Infrastrukturministerium, müsse die Leistungsfähigkeit der Kraftwerke um siebzig Prozent steigen. Wie die Tageszeitung Yedioth Ahronoth zu vermelden wusste, prüft die Regierung den Bau eines oder mehrerer Kernkraftwerke. Von der Öffentlichkeit unbemerkt, ist die Planung schon weit fortgeschritten. Laut dem Blatt prüft die Energiewirtschaft bereits die technologischen Alternativen und die Kosten des Projekts. Das mochten die zuständigen Stellen nicht einmal dementieren. Auf Anfrage der Jüdischen Allgemeinen erklärte das Infrastrukturministerium unterkühlt: »Kein Kommentar«.