Literaturhandlung

Stoff für den Kopf

von Christine Diller

Das Tor zu diesem Universum der Literatur und des Geistigen ist unscheinbar: Ein schlichtes Schild weist auf die »Literaturhandlung« in der kleinen, ruhigen Münchner Fürstenstraße hin. Erst die schmalen Schaufenster präzisieren mit ihrer Auslage die Art der hier gehandelten Literatur: alles, was mit dem Judentum zu tun hat. Fast möchte man an die Allgegenwart der Rachel Salamander glauben, wenn man sie beim Betreten am Tisch sitzen sieht – lesend, selbstverständlich.
Sie, die die »Literaturhandlung« als erste deutsche Fachbuchhandlung zum Judentum vor 25 Jahren gegründet hat und Herausgeberin der »Literarischen Welt« ist, unterhält inzwischen sieben Dependancen, unter anderem in den jüdischen Museen in München, Fürth, Augsburg und Würzburg. Von einer versteckten Enklave kann also mitnichten die Rede sein, denn allein in München strahlt die »Literaturhandlung« mit ihren Lesungen und Vorträgen in alle möglichen Institutionen aus, vom Gasteig bis ins Prinzregententheater.
Literaturhandlung – das klingt ein wenig nach Nostalgie. Dieser Name schien Rachel Salamander im September 1982 passend für die Verbindung von literarischer Qualität, ökonomischer Standfestigkeit und lebendigem Kulturprogramm. »Die Räume waren der einzige Planungsfehler, sie sind zu klein«, sagt die zierliche Frau mit den vor Neugier und Tatkraft strahlenden braunen Augen. »Das Publikum muss mit mir wandern.« Und das tut es offensichtlich gern. Am Vorabend etwa war die Lesung mit Aliza Olmert, der Autorin von Ein Stück vom Meer und Frau des israelischen Ministerpräsidenten, brechend voll und ging bis spät in die Nacht. »Heute ist es noch ein wenig verschlafen hier«, sagt Salamander.
Trotzdem gewinnt man an diesem Vormittag den Eindruck, dass die hellen Räume eine Art Piazza sind: Stammkunden schauen herein, unterhalten sich über die Lesung am Vorabend. Ein junger Mann hat im Radio einen Beitrag über Ossip Mandelstam gehört und lässt sich einige Bücher zeigen. Eine Frau mit Kinderwagen bekommt einen Veranstaltungskalender von Salamander selbst an die Tür gebracht. Eine andere Dame berichtet, wie gut die Tassen mit Chamsa-Dekoration als Geschenk zu Rosch Haschana angekommen sind. Denn zwischen all den Regalen zu 40 Sachgebieten wie »Nationalsozialismus, Emigration/ Exil, Widerstand«, zwischen jiddischem Struwwelpeter, »Kochen wie zu biblischen Zeiten«, hebräisch- und russischsprachigen Büchern präsentieren sich wie beiläufig Judaica: Schmuck, Kiddusch-Becher, Mesusot und Davidstern-Konfetti.
Rachel Salamander, die promovierte Germanistin, wurde als Kind von polnischen Holocaust-Überlebenden 1949 in Deutschland in einem Lager für Displaced Persons geboren. Weil sie gleichermaßen »im Buch zuhause« wie im Jüdischen verwurzelt ist, lag es für sie nahe, beides zusammenzubringen. Zumal in den 80er-Jahren die jungen deutschen Juden nach einem neuen Selbstverständnis suchten und ihr Hiersein nicht mehr wie die Eltern als Provisorium begreifen wollten.
Nach Salamanders Ansicht wirkte die Literaturhandlung damals in drei Richtungen: »Da waren die Emigranten, die erstmals nach Deutschland zurückkehrten; ein Stück Einbürgerung im ideellen Sinn. Dann die modernen israelischen Erzähler, die wir durchaus in den deutschen Markt miteingeführt haben. Und schließlich junge jüdische Stimmen aus Deutschland, die es aber in der nächsten Generation nicht mehr gibt. Denn die Kinder unserer Generation sind weitergezogen nach England oder Israel. Hier wiederum schreiben nun osteuropäische Einwanderer wie Lena Gorelik.« »Rekonstruktionsarbeit«, mit diesem Wort fasst Salamander ihr ideelles Werk zusammen: Die Welten deutscher und osteuropäischer Juden sowie Nichtjuden sollen sich einander öffnen.
Gab es keine Schwierigkeiten in all den Jahren? »Die ganz normalen geschäftlichen Sorgen. Aber mit unserer Spezialisierung konnten wir zwischen Buchhandelsketten und Internet bestehen.«
Rachel Salamander wendet sich wieder ihren Büchern zu, um sie liebevoll im Schaufenster zu platzieren. Wie kleine Kostbarkeiten.

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