von Frank Scheerer
Unweit des Hamburger Amüsierviertels St.Pauli geht die Reeperbahn in die Altonaer Königsstraße über. An einem mit Gitterstangen abgeschirmten Friedhof sitzen Stadtstreicher auf roten Backsteinmauern. Leere Bierdosen liegen zwischen Grabstelen, rollen über verwitterte Steinplatten. Der Elbwind treibt Plastiktüten über die mit Moos bedeckten Gräber.
Das soll nun anders werden. Im Auftrag der Stiftung Denkmalpflege wurde am vergangenen Donnerstag der Grundstein für ein Dokumentationszentrum über die Geschichte des Altonaer Friedhofs gelegt. In Anwesenheit der Kultursenatorin Karin von Welck und dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Hamburg, Andreas Wankum, begrüßte Irina von Jagow im Namen der Stiftung die 50 geladenen Gäste. Gemeindevorsitzender Wankum befürwortet die Grundsteinlegung als Beweis dafür, »dass sich Hamburg um die Wahrung des jüdischen Erbes bemüht«.
Auf der gegenüberliegenden jüdischen Begräbnisstätte, dem ehemaligen Heuberg, wurden von 1611 bis 1869 aschkenasische und sefardische Juden bestattet. Mit seinen über 8.000 Gräbern wurde der älteste erhaltene Friedhof Hamburgs bereits für die Aufnahme in das UNESCO-Weltkulturerbe vorgeschlagen. Abgeschirmt durch das Blätterdach wuchtiger Bäume wirkte er lange wie ein geheimnisumwitterter verschlossener Ort. Doch schon bald soll das Areal noch mehr der Öffentlichkeit zugänglich sein.
Stein um Stein dokumentiert der Duisburger Judaist Michael Brocke mit seinem Wissenschaftlerteam und der finanziellen Hilfe renommierter Hamburger Stiftungen die Kulturgeschichte der in Altona bestatteten deutschen Juden. Hier befindet sich ein gigantisches in Stein eingelassenes Archiv. Forscher müssen jetzt die verwitterten hebräischen Inschriften deuten. Auffällig bei den Stelen der portugiesischen Juden ist die gut lesbare lateinische Schrift. Vor sieben Jahren wurde eine solche Grabstele im Landkreis Stade entdeckt. Ihre lateinische Inschrift verweist auf das bürgerliche Jahr 1644. »Wissenschaftlich gesehen ist das eine Sensation«, sagt Michael Studemund-Halevy, Experte für die Geschichte des sefardischen Friedhofs in Hamburg-Altona, über den Fund. Es gilt viel aufzuarbeiten.
Doch Lücken klaffen zwischen den Gräberfeldern, Steine wurden herausgebrochen, der Vandalismus ist unübersehbar. Auch während des Krieges wurden Steine beschädigt, zerstört und entfernt. Grabsteine wurden für Gleisaufschüttungen der Hamburger Hochbahn und die Befestigung der Hafenanlagen nach den Bombenangriffen von 1943 verwendet. »Bis in die 60er Jahre war der jüdische Friedhof rechtsfreier Raum, da die Gemeinde in Hamburg aufgehört hatte zu bestehen«, gibt das Denkmalschutzamt Hamburg zu bedenken.
Die schlichte Grabstele von Isaak Nunes steht leicht geneigt im Wind. Es ist Sonnenzeit. Im dreizehnten Glaubensartikel des Religionsphilosophen und Arztes Maimonides heißt es: »Ich glaube mit voller Überzeugung, dass eine Wiederbelebung der Toten stattfinden wird zur Zeit, da sie im Ratschluss Gottes wird beliebt werden.« An den Gräbern in Hamburg-Altona wird jetzt wieder gebetet.