Die Nazis waren nicht dumm. Der Glaube an den »Endsieg« hatte sie schon 1942 verlassen, denn spätestens da zeichnete sich ab, dass der Zweite Weltkrieg für Deutschland nicht zu gewinnen war. Und zur Einsicht in die sich abzeichnende Niederlage gesellte sich die Ahnung, dass die unglaublichen Verbrechen, die Wehrmacht und andere Einheiten des NS-Staates verübt hatten und noch bis 1945 weiter verüben würden, Rache verdient hätten.
Der junge Historiker Jens Hoffmann hat sich nun der »Aktion 1005« gewidmet, dem im Januar 1942 als »Geheime Reichssache« verkündeten Projekt, die Spuren, die die Verbrechen der Wehrmacht und der SS hinterließen, zu beseitigen. Es geht meist um das Verbrennen von Leichen, zum Teil wurden auch Massengräber wieder geöffnet, um die dort liegenden Toten herauszuziehen und zu verbrennen. Dazu wurden zumeist jüdische Häftlinge gezwungen, die – nicht zuletzt, damit sie nicht im Falle ihres Überlebens davon Zeugnis geben konnten – im Anschluss auch ermordet wurden. So wollten die Nazis das Ausmaß ihres Verbrechens vertuschen und, wenn ihr Tausendjähriges Reich im Schutt liegen sollte, vor der Weltgeschichte als bloß normale Ganoven erscheinen, die nicht mehr als andere Diktatoren verbrochen hätten.
Hoffmann spürt der Spurenvertuschung minuziös nach. Die »1005«-Kommandos wirkten in den meisten von Deutschland besetzten Ländern: im heutigen Serbien, der Ukraine, Weißrussland, Russland, Litauen, Lettland und Polen. Hoffmann nimmt sich einzelne Kommandos vor und kann so, zum Teil erstaunlich detailliert, die geleistete oder versuchte Vertuschung nachweisen. Er stützt sich auf zum Teil erstmals veröffentlichte Dokumente, auf Aussagen und Berichte von überlebenden Arbeitshäftlingen und auf die Aussagen von ehemaligen Angehörigen der Kommandos.
Vorarbeiten, auf die er sich stützen kann, gibt es nur wenige, die meisten stammen von dem israelischen Historiker Shmuel Spector. Es sind erschütternde Dokumente, die er zutage fördert und auswertet – wie diese in eine Wand geritzte Bemerkung: »Hirsch Burstein, hierhergebracht am 7.VII.44. Wir verbrennen Leichen, wir warten auf den Tod, Brüder, rächt uns!« Diese und andere Quellen so auszuwerten, dass wenigstens annähernd ein Gesamtbild der »Aktion 1005« entsteht, ist zugleich die Schwierigkeit und die große Leistung Hoffmanns. Denn dass diese Kommandos ihre Arbeit so gründlich machten, hat zum Teil bis heute zur Folge, dass die Verbrechen der Nazis in ihrer wirklichen Dimension noch gar nicht zur Kenntnis genommen wurden. Hoffmann beklagt in seinem Vorwort, dass viele Historikerkollegen das, was die Häftlinge in den »1005«-Kommandos machen mussten, als bloß »unvorstellbar« oder »unaussprechlich« charakterisieren und so die vorliegenden Beweise nicht mehr zu würdigen brauchen.
Jens Hoffmanns Studie ist bahnbrechend, weil sie nachweist, wie erfolgreich die Nazis Beweise der Monstrosität ihrer Verbrechen aus dem Gedächtnis der Welt geschafft haben; weil sie andeutet, wie viel auch über 60 Jahre nach der Befreiung der KZs noch nicht über das Grauen in den Lagern bekannt ist und weil sie darüber hinaus ihren Gegenstand auf eine sprachlich sehr angemessene und respektvolle Weise behandelt. Martin Krauß
jens hoffmann: »das kann man nicht erzählen«. »aktion 1005« – wie die nazis die spuren ihrer massenmorde in osteuropa beseitigten
Konkret Texte 2008, 432 S., 29,80 €