von Thomas Nagel
An der östlichen Mauer des alten jüdischen Friedhofs im fränkischen Fürth sind die Grabsteine anders angeordnet als auf dem übrigen Areal. Sie stehen eng nebeneinander, preußisch-akkurat in Reih und Glied. Die seltsame Anordnung dokumentiert den Eingriff von außen. Von Februar bis Juli 1944 legten die Nazis auf dem Friedhof einen ihrer 36 Löschteiche an. Hunderte von Gräbern wurden zerstört. Nach Kriegsende ließ die Militärregierung den Teich wieder zuschütten. Amerikanische GIs siebten aus dem noch vorhandenen Erdaushub die Gebeine der Toten aus und bestatteten sie neu. Zusammen mit KZ-Überlebenden stellten sie die Grabsteine wieder auf und so stehen diese noch heute ordentlich nebeneinander.
Wer sich von Gisela Naomi Blume über das Areal an der Schlehenstraße führen lässt, wird noch weit mehr über den 1607 gegründeten jüdischen Friedhof erfahren. Zum 400. Jahrestag hat die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Fürth ihr Buch Der alte jüdische Friedhof in Fürth vorgelegt. Auf den rund 400 Seiten findet sich eine detailreiche Geschichte des Friedhofs, die Einblicke in die Entwicklung der jüdischen Gemeinde und auch der Stadt Fürth gibt. Blume hat dafür jahrelang in Archiven in Nürnberg und Fürth, aber auch in Israel und den USA recherchiert. Die Sommermonate verbrachte sie auf dem Friedhof, wo sie mit Hilfe der Israelin Nurit Kornblum die Inschriften aller Grabsteine dokumentierte. Im zweiten Teil des Buches werden die Daten von 250 Verstorbenen vorgestellt. Das komplette Archiv mit 20.000 Datensätzen soll demnächst im Internet oder als CD-Rom veröffentlicht werden.
Anhand der Gräber und ihrer Geschichten lässt sich nachvollziehen, wie sich die jüdische Gemeinde in Fürth seit 1528 zu einer viel beachteten Blüte entwickeln konnte. Aus ihrer Umgebung gingen nicht nur Berühmtheiten wie Jakob Wassermann, Henry Kissinger, Leopold Ullstein oder Heinrich Berolzheimer hervor. Es entwickelten sich auch kulturelle Besonderheiten. Bis 1833 wurden hier etwa die Toten nicht im Sarg, sondern in althergebrachter Weise auf einem Brett beerdigt. Bei Rabbinern nahm man die Platte ihres Studiertisches, wohltätige Menschen, die den Armen zu essen gegeben hatten, wurden auf ihrer Esstischplatte begraben.
Die Gräber erzählen zudem über eine Gemeindekultur, in der Toleranz und Fortschritt hohen Stellenwert hatten. Der Fürther Ehernbürger Louis Alfred Nathan finanzierte ein Entbindungsheim, wo auch ledige Frauen gebären konnten – Anfang des 20. Jahrhunderts war das sensationell. Der Grabstein von Bendit Hamburger dokumentiert die berühmte Fürther Toleranz zwischen Christen und Juden. Eine Inschrift auf der Rückseite des Steins erinnert daran, dass der Gemeindevorstand 1762 zusammen mit einem Vertreter der christlichen Gemeinde vom preußischen Heer entführt wurde. Die Christen zahlten damals nicht nur das Lösegeld für ihr Gemeindemitglied, sondern auch das des Juden.
Gisela Naomi Blume hält solche Beispiele gerne in Ehren. »Ich bin stolz auf meine Fürther«, sagt sie dann. Das möchte auch Oberbürgermeister Thomas Jung gerne wieder sein. »Die Dokumentation der Schicksale jüdischer Mitbürger, die von den Nazis ermordet wurden, hilft uns daran zu denken, dass so etwas nie wieder passieren kann«, sagte Jung bei der Buchvorstellung im November.
gisela naomi blume:
der alte jüdische friedhof in fürth
Verlag Meyer Scheinfeld 2007,
400 S., 29,80 €