Dose & Schablone

Sprühende Ideen

von
Naomi Felice Wonnenberg

Eine heiße Spätsommernacht am Dizengoff-Platz im lautstark pulsierenden Herzen Tel Avivs. Wie kaum ein anderer Ort repräsentiert er die Gegensätzlichkeiten der Mittelmeermetropole. 1938 von Arie El-Hanani geplant, sind die Häuser, die den Platz umgeben, wunderbare Beispiele der Bauhaus-Architektur. Doch mit zunehmendem innerstädtischen Verkehr suchte man in den 70er-Jahren nach neuen Lösungen. Und so kam es, dass man den sternförmig angelegten Platz 1978 umbaute und ihn in ein doppelstöckiges Gebilde verwandelte: Seitdem schlüpft der dröhnende Verkehr in eine Art Untertunnelung, und die Fußgänger überqueren den Platz auf einem Plateau, in dessen Mitte sich ein Brunnen erhebt.
Heute wäre man diese zweifelhafte Verkehrstorte samt dem schreiend bunten, ewig defekten Metallbrunnen am liebsten los. Nostalgisch liebäugeln viele Tel Aviver mit den Ansichten des Originalplatzes, die auf zahlreichen historischen Postkarten abgebildet sind. Doch leider haben auch diese Retrosehnsüchtler keine Antwort auf das Verkehrsproblem parat. So verkümmern unterdessen die viel gelobten Bauhaus-Fassaden hinter gigantischen wild wuchernden Birkenfeigen, und der Straßenlärm tobt weiterhin. Einige Anwohner haben in Notwehr die denkmalgeschützten Balkone vernagelt, andere Gebäude rings um den Platz stehen leer, dem Verfall preisgegeben. Einzige Ausnahme ist das stilgerecht renovierte Cinema-Hotel – ein Wink mit dem Zaunpfahl: So schön könnte der Platz sein.
Im Verlauf dieser Geschichte des Ge- und Missbrauchs von Architektur wurde eines dieser Gebäude zu einem gigantischen Fitnesszentrum. Brutal riss man Wände heraus, baute Sportmaschinen ein und riesige Spiegelwände. Von der ursprünglichen Innenarchitektur blieb nichts übrig. Doch weil der Sportsgeist nur von kurzer Dauer war, steht das Gebäude seit acht Jahren leer. Fledermäuse und Straßenkatzen bewohnen heute das einstige architektonische Juwel.
Inspire, ein mit Graffiti und Postern arbeitender Straßenkünstler, entschied sich, auf diesen Missbrauch von Architektur aufmerksam zu machen. »Die Mieten in der Innenstadt sind extrem hoch«, sagt er, für junge Familien sei es hier fast unmöglich, bezahlbaren Mietraum zu finden. Dennoch ließen Spekulanten bewusst Häuser leerstehen, wodurch ein großer Teil verkomme. »Wir haben das Re-Use-Projekt initiiert, um auf diese Missstände aufmerk- sam zu machen.« Inspire zeigt Street-Art-Plakate und Spray-Kunst in den Räumen. Er will die Tel Aviver dazu bewegen, »mal hinzusehen«. 120 Künstler aus Israel und aller Welt haben ihm ihre Kunst auf Plakaten zugeschickt. Er bringt sie auf der Fassade und in den Innenräumen an.
»Heute habe ich Plakate aus Kanada und Paris bekommen und sie hier angeklebt«, sagt der junge Mann, der vor acht Jahren aus den USA einwanderte. Viele Künstler sind seinem Aufruf gefolgt, manche haben vor Ort mit Schablonen und Spraydosen die Mauern gestaltet. »Aber wir nehmen nur Wände oder Gegenstände, die schon zerstört sind«, beteuert Inspire, »niemals würden wir auf neu renovierte Wände sprayen.«
Der Straßenkünstler möchte die Menschen inspirieren, mit neuem Blick auf die alt bekannten Gebäude zu schauen und zur Diskussion anregen über die Verwendung des öffentlichen Raums. Auf vier Etagen können die Tel Aviver hunderte Kunstwerke betrachten, ein offenes Kunstmuseum der Gegenwart. Tatsächlich ist die Fülle der Plakate und gesprühten Kunstwerke umwerfend. Auf 3.000 Quadratmetern entdeckt der Besucher einen Reichtum von sorgfältig gestalteten Spraybildern. Hinterlassene Objekte wurden zu Installationen umgewandelt und bemalt. Manchmal führt Inspire Gäste durch die Ausstellung, wie heute eine Gruppe junger Ultraorthodoxer. Man kennt sich aus Jerusalem. Dort hatte Inspire im vergangenen Jahr ein Haus hinter dem zentralen Busbahnhof in ein Spraykunstzentrum verwandelt und anschließend in der Barbur-Gallerie eine Straßenkunst-Ausstellung eröffnet. »Die Künstler finden es interessant, dass ich gerade hier in Israel arbeite. Der Ort, der Konflikt, das inspiriert ihre Fantasie.«

Fernsehen

Mit KI besser ermitteln?

Künstliche Intelligenz tut in Sekundenschnelle, wofür wir Menschen Stunden und Tage brauchen. Auch Ermittlungsarbeit bei der Polizei kann die KI. Aber will man das?

von Christiane Bosch  21.04.2025

Reaktionen

Europäische Rabbiner: Papst Franziskus engagierte sich für Frieden in der Welt

Rabbiner Pinchas Goldschmidt, der Präsident der Konferenz Europäischer Rabbiner, würdigt das verstorbene Oberhaupt der katholischen Kirche

 21.04.2025

Berlin

Weitere Zeugenvernehmungen im Prozess gegen Angreifer auf Lahav Shapira

Der Prozess gegen Mustafa A. am Amtsgericht Tiergarten geht weiter. Noch ist unklar, ob am heutigen Donnerstag das Urteil bereits gefällt wird

 17.04.2025

Indischer Ozean

Malediven will Israelis die Einreise verbieten

Es ist nicht die erste Ankündigung dieser Art: Urlauber aus Israel sollen das Urlaubsparadies nicht mehr besuchen dürfen. Das muslimische Land will damit Solidarität mit den Palästinensern zeigen.

 16.04.2025

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 11.04.2025

Spenden

Mazze als Mizwa

Mitarbeiter vom Zentralratsprojekt »Mitzvah Day« übergaben Gesäuertes an die Berliner Tafel

von Katrin Richter  10.04.2025

Jerusalem

Oberstes Gericht berät über Entlassung des Schin-Bet-Chefs

Die Entlassung von Ronen Bar löste Massenproteste in Israel aus. Ministerpräsident Netanjahu sprach von einem »Mangel an Vertrauen«

 08.04.2025

Würdigung

Steinmeier gratuliert Ex-Botschafter Primor zum 90. Geburtstag

Er wurde vielfach ausgezeichnet und für seine Verdienste geehrt. Zu seinem 90. Geburtstag würdigt Bundespräsident Steinmeier Israels früheren Botschafter Avi Primor - und nennt ihn einen Vorreiter

von Birgit Wilke  07.04.2025

Weimar

Historiker Wagner sieht schwindendes Bewusstsein für NS-Verbrechen

Wagner betonte, wie wichtig es sei, sich im Alltag »gegen Antisemitismus, gegen Rassismus, gegen Muslimfeindlichkeit und gegen jede Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit« zu engagieren

 07.04.2025