von Gabriele Lesser
»Ich bin hier nie geschwommen!«, empört sich Alicja Kobus. »In einer Synagoge schwimmt man doch nicht!« Die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde im westpolnischen Posen steht auf der Frauenempore der ehemaligen großen Synagoge. Es riecht nach Chlor und heißen Bockwürstchen. »Dort unten«, sagt sie und deutet auf die gegenüberliegende blaugekachelte Wand, »stand der Toraschrein.« Jetzt springen von hier aus Kinder ins Wasser, quirlig und quietschvergnügt. Der Bademeister setzt immer wieder die Trillerpfeife an. Schulsport in der Synagoge. »Ich gönne den Kleinen ihren Spaß«, sagt die 59jährige. »Aber wenn die Nazis 1940 nicht die Posener Synagoge, sondern die Kathedrale zum Schwimmbad umgebaut hätten, würden die Eltern ihre Kinder heute dann auch zum Schwimmenlernen in die Kirche schicken?«
Seit vier Jahren ist die jüdische Gemeinde in Posen wieder Eigentümerin der Synagoge. Es ist die einzige von einem guten Dutzend, die die Kristallnacht 1938 heil überstand. Und das nur, weil die Wehrmacht das prunkvolle, im romanisch-maurischen Stil errichtete Gebäude in ein Erholungsbad für verletzte Frontsoldaten umbauen ließ. Nach 1945 kehrte kaum eines der knapp 2000 Gemeindemitglieder nach Posen zurück. Der polnische Staat übernahm die Synagoge ebenso wie den großen Friedhof und alle Immobilien der jüdischen Gemeinde. An eine Pflege des Erbes dachte niemand. Der Friedhof wurde eingeebnet. Hier stehen heute Wohnhäuser, Garagen und die Internationale Posener Messe. Die Synagoge wird bis heute als Schwimmbad genutzt. In das jüdische Gemeindehaus zog das Stadtarchiv. Aus dem jüdischen Alters- und Pflegeheim wurde das städtische Armenhaus.
»Sprengt die Synagoge!«, forderte der EU-Parlamentarier Marcin Libicki ausgerechnet in dem Moment, als die jüdische Gemeinde EU-Geld zum Umbau des Schwimmbads beantragen wollte. Das Gebäude sei ästhetisch wertlos,sagt das Mitglied der regierenden Partei »Recht und Gerechtigkeit«. Außerdem sei die Synagoge Ausdruck des deutschen Kulturkampfes. So etwas bräuchten die Polen heute nicht in Posen. Die »reiche jüdische Gemeinde« hätte um die Jahrhundertwende nicht nur ein Denkmal für Bismarck gespendet, was eine »klare antipolnische Geste« gewesen sei. Sie habe auch von Anbeginn die Kuppel der monumentalen Syn- agoge so hoch bauen wollen, daß sie alle katholisch-polnischen Kirchen der Stadt überragen und damit die Überlegenheit der Deutschen betonen sollte. »Die damals in Posen lebenden Juden hielten sich für Deutsche und für loyale Untertanen des Kaisers«, sagt Libicki. Die Stadt solle daher der jüdischen Gemeinde in Posen die Synagoge abkaufen und sie danach sprengen.
»Unfaßbar«, sagt Alicja Kobus. »Das Zentrum für Judentum, Toleranz und Dialog soll uns allen in Posen dienen. Wir sind mit 40 Mitgliedern eine winzige jüdische Gemeinde und brauchen nur einen kleinen Betsaal.« Die Synagoge war für 1.200 Gläubige angelegt. Dort sollen in Zukunft polnisch-jüdische Diskussionen stattfinden, Theateraufführungen, Dichterlesungen. »Wir möchten, daß die Posener sich wieder über die jüdische Geschichte der Stadt klarwerden. Und wir möchten ganz bewußt als Juden auch die Gegenwart Posens mitgestalten.«
Libicki allerdings sieht nur »eine sinnvolle und zugleich salomonische Lösung«: Anstelle der 1907 eingeweihten Synagoge, die nach dem Nazi-Umbau architektonisch wertlos sei, sollten die alten Stadtmauern Posens aus dem Mittelalter wiederaufgebaut werden. Dies sei billiger. Die kleine jüdische Gemeinde solle für die Synagoge »eine Summe erhalten, die ihr einen würdigen Ort des Gebetes sowie die Entwicklung ihrer kulturellen Bedürfnisse sichert«, sagt Libicki. »Wozu sollte man ein Vermögen für den Wiederaufbau von etwas ausgeben, das auf die Zerstörung unserer Identität abzielte?«
Mit dieser aus dem 19. Jahrhundert stammenden Rhetorik der »Endecja«, einer nationalistisch-antisemitisch ausgerichteten Bewegung, machte sich Libicki allerdings keine Freunde in Posen. Seit Alicja Kobus 1998 die jüdische Gemeinde wiederbegründete, hat sich in der mit 600.000 Einwohnern fünftgrößten Stadt Polens viel geändert. Erzbischof Stanislaw Gadecki, der in der Bischofskonferenz für die christlich-jüdi- schen Beziehungen zuständig ist, regte an, den von der katholischen Kirche alljährlich begangenen »Tag des Judentums« in Posen auf eine Woche und schließlich auf zehn Tage auszudehnen. »Wir hatten vorher gar keinen Ansprechpartner. Ohne die jüdische Gemeinde mußten wir einen Tag des Judentums ohne Juden begehen«, erklärt Priester Jerzy Stranz. »Wir als Kirche hatten auch Angst. Als wir 2004 zum ersten Mal eine ganze Woche zum Thema Judentum anboten, noch dazu in einer Stadt, die traditionell mit der »Endecja« verbunden ist, da war uns schon etwas mulmig zumute.« Aber es kamen 600 Leute. Im Schwimmbad wurde mit einer Gedenkfeier an die Geschichte der Synagoge erinnert. Hunderte brennende Kerzen schwammen in Form eines Davidstern auf dem Wasser. »Es war ein voller Erfolg«, freut sich Stranz. Und es war ein Durchbruch. Die Medien berichteten ausführlich, in den Kirchen wurde über »die Posener Juden« gesprochen. »Es entstand eine positive Neugierde«, sagt Stranz, »Die Leute begannen sich aber auch dafür zu schämen, daß in der Synagoge noch immer das Nazi-Schwimmbad funktioniert.«
Auch im Historischen Museum Posens soll sich nun etwas ändern. »Außer einem einzigen großen Bild, auf dem auch ein Rabbiner zu sehen ist, haben wir bislang kaum etwas zum Leben der Posener Juden gezeigt«, bekennt Magdalena Mrugala-Banasz, die Direktorin des Museums. Doch schon im nächsten Jahr, zum nächsten »Tag des Judentums« soll eine große Ausstellung »Posener Juden im 19. und 20. Jahrhundert« eröffnet werden. »Was uns fehlt, sind Zeitzeugenberichte«, sagt Tamara Sztyma-Knasiecka. »Ich reise durch Museen in Israel, den USA und Deutschland, bestelle Exponate für unsere Ausstellung, aber wir haben fast nichts eigenes.« Wo sie hinkommt, bittet sie, nach Posener Juden oder deren Nachkommen zu fahnden. »Es wäre schön«, sagt ihre Chefin, »wenn wir zur Ausstellungseröffnung im Januar 2007 auch Gäste aus aller Welt nach Posen einladen könnten. Wir würden gerne ein Versäumnis der letzten Jahrzehnte wiedergutmachen.«
Der stürmischen Diskussion, die nach dem »Sprengt die Synagoge«-Aufruf durch Posens Medien fegte, konnten sich auch die Mächtigen der Stadt nicht verschließen. Inzwischen haben sich Oberbürgermeister Ryszard Grobelny, Erzbischof Stanislaw Gadecki, der Wojewode von Großpolen Tadeusz Dziuba und Vertreter des jüdischen Gemeindebundes in Polen zu einer Arbeitsgruppe zusammengeschlossen. »Wir müssen als erstes herausfinden, was ein Umbau des Schwimmbads kosten würde«, sagt Alicja Kobus. »Schon diese Analyse kostet Geld, das die Gemeinde nicht hat.«
Zunächst hatte sie gehofft, daß der Amerikaner Andrew Hingston der Gemeinde helfen könnte. Hingston kam 2001 nach Posen, entdeckte durch Zufall das Schwimmbad in der Synagoge und gründete gemeinsam mit einigen Freunden die Stiftung Posener Synagogen Projekt (PSP). Ziel der Stiftung ist die Rettung des jüdischen Kulturerbes in Mittelosteuro- pa, kann man auf der Webseite der Stiftung nachlesen. Allerdings ist von den Gründungsmitgliedern, zu denen auch der Jurist Irv Hepner, der polnische Oberrabbiner Michael Schudrich und Laurence Weinbaum vom World Jewish Congress in Jerusalem gehörten, nur noch einer übrig: Andrew Hingston. »Man kann mit Hingston nicht zusammenarbeiten«, sagt Schudrich. »Ich habe mich schon vor Jahren von der Stiftung zurückgezogen.« Nach Angaben der US-Botschaft in Warschau gibt es keine Stiftung dieses Namens in den Vereinigten Staaten. »Er richtet unglaublichen Schaden an«, meint Alicja Kobus. »Er sammelt Spenden für den Wiederaufbau der Synagoge, die aber nie bei uns eintreffen. Dafür erzählt er überall herum, die polnischen Juden seien allesamt korrupt.« Sie schüttelt den Kopf und lacht: »Ich habe schon viele Verrückte getroffen. Meistens Polen. Aber Amerikanern muß man auch ein Chance geben.«