Für einen kurzen Moment verliert der deutsche Beamte die Contenance. »Wie unsäglich dumm, wie unsäglich ignorant kann man denn sein?«, schimpft der hochrangige Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) und fällt damit gleich über zwei höchst unterschiedliche Instanzen ein vernichtendes Urteil. Zum einen über die Richter des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe, zum anderen über seine amerikanischen Berufskollegen. Sein emotionaler Ausbruch ist nachvollziehbar – hat doch ausgerechnet das ehrenwerte Kollegium der Richter des 3. Senats des Bundesgerichtshofs, zuständig für Staatsschutzangelegenheiten, am 27. Mai 2009 als Tatsachenbehauptung publik gemacht, was der BND der Öffentlichkeit doch lieber vorenthalten hätte: Der Nachrichtendienst kann belegen und bewei- sen, dass die Islamische Republik auch über das Jahr 2003 hinaus sein militärisches Nuklearprogramm weiter betrieben hat.
Vor einer Woche nun präsentierten zwei Nachrichtenmagazine ganz unterschiedliche Meldungen in Sachen iranisches Atomprogramm. Während der »Stern«, gestützt auf BND-Quellen, davor warnte, Teheran könne binnen eines halben Jahres die Bombe einsatzfähig haben, gab der »Spiegel« Entwarnung. Teheran brauche noch Jahre bis zur Fertigstellung einer Nuklearwaffe.
Wie auch immer. In ihrer Pressemitteilung (Nummer 116/2009) konstatieren die Richter des Bundesgerichtshofs nüchtern, »dass der Iran im Jahre 2007 an der Entwicklung von Atomwaffen arbeitete«. Dies ergäbe sich »insbesondere aus den aktenkundigen Angaben des Bundesnachrichtendienstes«. Welche Angaben des BND das genau sind, und wo man sie findet, haben die Richter darüber hinaus in einem 30 Seiten langen Beschluss vom 26. März 2009 gleich mit veröffentlicht.
»Das war eine Dummheit sondergleichen«, sagt der erwähnte BND-Mitarbeiter, der sich seit Jahren mit ebendiesen Fragen beschäftigt: Hat die Islamische Republik Iran ein geheimes nukleares Waffenprogramm oder nicht? Baut Teheran die Bombe? Und wenn ja, wann?
Konfrontiert mit den Ermittlungsakten, auf denen die Mitteilung des Bundesgerichtshofs fußt, gibt der BND-Fachmann eindeutige Antworten: »Ja! Der Iran baut die Bombe. Wir haben harte Fakten, Belege und Beweise, dass der Iran auch nach 2003 sein militärisches Nuklearprogramm aktiv weiter betrieben hat. Der Iran hat sein Raketenprogramm so entwickelt, dass er in spätestens zwei Jahren nukleare Gefechtsköpfe punktgenau platzieren kann. Auf polit-diplomatischem Weg ist das nicht mehr zu verhindern.«
Der Mann ist wütend. Auf die eigenen und die amerikanischen Berufskollegen. »Unsägliche Ignoranz« unterstellt er ihnen. Denn 16 US-Nachrichtendienste veröffentlichten im Dezember 2007 ihren »National Intelligence Estimate« (NIE). Dessen zentraler Satz schlug in den USA – und mehr noch in Europa – wie eine Bombe ein. »Mit großer Überzeugung urteilen wir, dass Teheran im Herbst 2003 sein Programm zur Produktion von Nuklearwaffen gestoppt hat«, schreiben die Autoren und lösten ein politisches Erdbeben aus.
»Die Apokalypse ist abgesagt«, titelte der Spiegel voller Häme und bezeichnete, wie fast alle europäischen Medien, den Verdacht, dass Teheran an der Bombe baut, als Panikmache, interessengesteuert aus Washington und Jerusalem. Der NIE-Report löste beim deutschen Auslandsgeheimdienst Fassungslosigkeit aus. »Wir haben im Vorfeld den amerikanischen Partnern mehrfach unsere Erkenntnisse, die Fakten, Belege und Beweise auf den Tisch gelegt«, so der BND- Mann heute. »Die Amerikaner haben sie schlicht ignoriert.«
militärische güter Was da in Washington ignoriert wurde, ist nun im Beschluss des 3. Senats am Bundesgerichtshof, in Ermittlungsakten des deutschen Generalbundesanwalts, in Stellungnahmen, Expertisen, Akten deutscher Ermittlungsbehörden, diverser Landeskriminalämter, Landesämter für Verfassungs- schutz, Zollfahndungs- und Kriminalämter, des Bundesamtes für Verfassungsschutz sowie in »Behördenzeugnissen des BND« dezidiert nachzulesen.
Wie kam es zur Veröffentlichung dieser brisanten Erkenntnisse? Die Richter des 3. Senats hatten über eine Beschwerde des Generalbundesanwalts, des höchsten Anklägers der Republik, zu entscheiden. Dessen Anklage gegen den Kaufmann Mohsen V. wegen Verstößen gegen das deutsche Kriegswaffenkontrollgesetz und das Außen- wirtschaftsgesetz hatte das Oberlandesgericht in Frankfurt am Main mit seiner Entscheidung vom 6. August 2008 aus »tatsächlichen und rechtlichen Gründen« nicht zur Hauptverhandlung zugelassen.
Der Kaufmann aus Frankfurt am Main, der die deutsche und iranische Staatsbürgerschaft hat, soll nach den Ermittlungsakten und der Anklageschrift des Generalbundesanwalts »Industriemaschinen, Zu- behör und Rohmaterialien vorwiegend an iranische Kunden vermittelt haben« – zur Unterstützung des iranischen Atomwaffenprogramms. Die Geschäftspartner von Mohsen V. in Teheran waren Firmen, die sich »mit der Beschaffung von nuklearrelevanten und militärischen Gütern für den Iran befasst und sich zur Umgehung geltender Handelsbeschränkungen mehrerer Tarnfirmen mit Sitz etwa in Dubai und den Vereinigten Arabischen Emiraten bedient haben«. Ebenso wurde ihm die konspirative Lieferung »zweier Hochgeschwindigkeitskameras, die zur Entwick- lung von Atomsprengköpfen benötigt werden«, vorgeworfen. Mohsen V. waren, so schreiben die Bundesrichter in Karlsruhe, »nach seiner eigenen Einlassung die Verwendungsmöglichkeiten der Kameras im militärischen Bereich bekann«. Er soll zudem, laut Anklage, versucht haben, »Zählrohre für strahlungsfeste Detektoren, die zum Schutz gegen atomare Detonationswirkungen be- sonders konstruiert sind«, über Tarnfirmen in Dubai nach Teheran zu liefern.
Die Beweise des Generalbundesanwalts gegen Mohsen V. reichten den Richtern des Oberlandesgerichts in Frankfurt am Main jedoch nicht aus. Es sei nicht belegt, »dass der Iran im Zeitraum von April bis November 2007 Maßnahmen ergriffen habe, um die technologischen Voraussetzungen für die Herstellung von Atomwaffen« zu schaffen. Die Richter des OLG Frankfurt berufen sich in ihrer Ablehnung der Anklage gegen Mohsen V. ausgerechnet auf den NIE-Report der US-Geheimdienste von 2007. Aus dem ergäbe sich, so ihre Argumentation, »dass es eher unwahrscheinlich sei, dass der Iran im genannten Tatzeitraum Atomwaffen entwickelt habe«.
Die Richter des 3. Senats am Bundesgerichtshof sehen das nun ganz anders. Ihre Begründung ist eine Ohrfeige für die untergeordneten Richter des OLG in Frankfurt – und die Autoren des NIE-Berichts der amerikanischen Geheimdienste. Auf die Beschwerde des Generalbundesanwalts gegen den Beschluss des OLG Frankfurt prüften die Richter über Monate alle Akten, Erkenntnisse, Belege und Beweise, forderten neue an und kassierten dann am 26. März 2009 diesen Beschluss.
Das Gericht habe »überspannte Anforderungen an den für die Zulassung der Anklage erforderlichen Tatverdacht gestellt«, es habe »das Ergebnis der Ermittlungen unzutreffend gewürdigt«. Der Angeklagte sei hinreichend verdächtig, sich strafbar gemacht zu haben. »Das Ermittlungsergebnis liefert ausreichend Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte gewerbsmäßig handelnd die Entwicklung von Atomwaffen im Iran gefördert hat.«
Die Bedeutung dieses Satzes erklärt ein Richter eines anderen Senats am Bundesgerichtshof unter der Bedingung der Anonymität so: »Das bedeutet nichts anderes, als dass die Kollegen des 3. Senats des BGH der Überzeugung sind, dass der Iran aktiv ein Atomwaffenprogramm betreibt. Sie betrachten den NIE-Report als obsolet! Wenn die Kollegen davon ausgehen, dass der Angeklagte die Entwicklung von Atomwaffen im Iran gefördert hat, dann bedeutet das logischerweise, dass der Iran ein Atomwaffenprogramm natürlich auch hat. Das eine geht ja wohl nicht ohne das andere.«
Tatsächlich ist westlichen Sicherheitsbehörden seit Jahren bekannt, dass der Iran schon mehr als zwei Jahrzehnte lang vor allem in Europa, vorzugsweise in Deutschland, Österreich und der Schweiz, verschiedene Netzwerke unterhält. Mit einem Ziel: »Ganze Konglomerate unterschiedlichster Firmen kaufen unter konspirativen Bedingungen nuklear relevante Komponenten. Bei mittelständischen Unternehmen, die dafür exorbitant gut bezahlt werden«, sagt ein Jurist des Generalbundesanwalts in Karlsruhe. Auf die Frage, gegen wie viele mittelständische Unternehmen in Deutschland die Generalbundesanwaltschaft in diesem Zusammenhang ermittelt, antwortet er: »Im zweistelligen Bereich.«
Offensichtlich war die Argumentationskette des BND ebenso überzeugend wie die anderer deutscher Sicherheitsbehörden. Ausdrücklich berufen sich die obersten deutschen Richter auf zwei »Behördenzeugnisse des Bundesnachrichten dienstes«. Ebenso auf den »vom Generalbundesanwalt angebotenen Zeugenbeweis«. Die Richter schreiben in ihrem Beschluss vom 26. März in vorsichtigem Juristendeutsch, dass »es die vorliegenden Beweismittel bei vorläufiger Bewertung wahrscheinlich machen, dass zur Tatzeit im Iran Atomwaffen entwickelt wurden. Hierfür sprechen insbesondere bereits die Erkenntnisse, die der BND in der Stellungnahme vom Mai 2008 aufgezeigt hat.« In dieser BND-Expertise wird »nachvollziehbar dargelegt«, dass »im Iran Entwicklungsarbeiten an Kernwaffen auch nach 2003 zu erkennen« seien.
erkenntnisse Die Schlussfolgerungen der Karlsruher Richter werden durch das BND-Behördenzeugnis vom 28. August 2008 maßgeblich gestützt. Darin skizziert und ergänzt der BND seine Erkenntnisse über »die Entwicklung eines neuen Trägerraketensystems und die Gemeinsamkeiten der Beschaffungsbemühungen des Iran und denjenigen Ländern mit bereits bekannten Atomwaffenprogrammen – wie zum Beispiel Pakistan und Nordkorea«.
Ein Sprecher des Bundesgerichtshofs will sich auf Nachfrage zu dem Beschluss des 3. Senats nicht äußern. Auch nicht zu den darin veröffentlichten Tatsachenbehauptungen über das iranische Atomwaffenprogramm. Ebenso wenig ist eine offizielle Stellungnahme beim Sprecher des Generalbundesanwalts zu erhalten. Welchen Zeugenbeweis für das Vorhandensein des iranischen Atomwaffenprogramms hat der Generalbundesanwalt denn nun angeboten? Darauf antwortet sein Sprecher mit der Bemerkung: »Kein Kommentar.« Stephan Borchert vom Bundesnachrichtendienst reagiert auf Nachfrage ebenfalls gequält: »Der BND gibt hierzu keinen Kommentar ab.« In seinem Haus sehen einige das anders: »Der Iran baut die Bombe, und wir haben es bewiesen.«