Wolfgang Lotz

Spione sterben einsam

von Holger Elfes

Fünftausend ägyptische Kriegsgefangene wurden 1968 vom israelischen Staat gegen einen einzigen Mann ausgetauscht: Wolfgang Lotz. Der Meisterspion des Mossad hatte jahrelang, getarnt als deutscher Geschäftsmann, den ägyptischen Militärapparat ausspioniert.
Lotz’ Geschichte übertrifft an Spannung so manchen Spionagethriller. 1921 in Deutschland geboren, wanderte er mit seiner jüdischen Mutter 1933 ins damalige Palästina aus. Mit 15 Jahren schloß sich Zeev Gur Arie, wie er inzwischen hieß, der illegalen jüdischen Verteidigungstruppe Hagana an. 1948 wurde er Offizier in den Streitkräften des neugegründeten Staats Israel und brachte es bis zum Major. Ende der fünfziger Jahre sprach der Mossad ihn an. In Ägypten waren deutsche Ingenieure dabei, moderne Raketen für Nassers Armee zu bauen. Lotz sollte sich in diese Kreise einschmuggeln. Groß, stämmig, blond und blauäugig – »die Verkörperung eines deutschen Offiziers«, wie er selbst sagte, gab er den idealen Undercoveragenten ab. Besonders nützlich bei seiner neuen Aufgabe war die Tatsache, daß seine assimilierten Eltern ihn nicht hatten beschneiden lassen. 1960 ging Lotz nach Kairo und gewann rasch Freunde unter den emigrierten Nazis und in der ägyptischen Militärführung. Auf seinen rauschenden Partys, die ihm später die Bezeichnung »Champagnerspion« eintrugen, tummelte sich alles, was in Kairo Rang und Namen hatte. Flughäfen, Raketenbasen, Waffendepots – fast alle Geheimnisse der ägyptischen Armee standen Lotz offen. Doch 1965 flog der Spion auf. Er wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Der Todesstrafe entkam er, weil die Ägypter ihn nicht als Juden enttarnten, sondern für einen deutschen Agenten hielten.
Die Geschichte des Wolfgang Lotz ist jetzt Thema eines vom New Israeli Film Fund und der Filmstiftung NRW finanzierten deutsch-israelischen Dokumentarfilms, der zur Zeit von Nadav Schirman gedreht wird. Im Mittelpunkt steht dabei nicht der Spion, sondern der Privatmann Lotz. Der Film, der im Herbst in Israel und Deutschland in die Kinos kommen wird und später auch im Fernsehen auf ZDF, ARTE und dem israelischen Channel 10zu sehen sein wird, zeigt Lotz von einer bisher kaum bekannten Seite: Nicht der strahlende Held, der elegante Draufgänger, sondern die gespaltene Persönlichkeit, eine tragische Figur im Nahostkonflikt, dessen Privatleben vor die Hunde ging.
Nadav Schirman hat im November und Dezember eine Reihe von Zeitzeugen in Deutschland, Frankreich, den USA und Israel interviewt. Der wichtigste von ihnen war Lotz’ Sohn Oded Gur Arie. Der heute 56jährige lebt als wohlhabender Geschäftsmann in den USA und setzt sich in dem Film erstmals mit der eigenen Familiengeschichte auseinander. Es hatte zwei Jahre gedauert bis der Lotz-Sohn bereit war zu dem Filmprojekt. Zu tief saß das Kindheitstrauma. »Lotz’ Familie hat sehr unter seinem Doppelleben gelitten«, sagt Regisseur Schirman. Während Oded und seine israelische Mutter in Paris lebten und aus Sicherheitsgründen nichts über den Beruf des Vaters nach außen geben durften, führte der in Kairo ein Playboy-Leben mit rauschenden Festen, Rennpferden und schönen Frauen. Konflikte waren programmiert, wenn der Meisteragent alle sechs Monate einmal kurz auf »Heimaturlaub« bei Frau und Kind vorbeischaute. »Für ihn selbst war dieser abrupte Rollenwechsel nach den Aussagen unserer Ge-sprächspartner auch schwierig«, berichtet Schirman.
Die Ehe ging schließlich in die Brüche. Lotz’ Kontakt zu seinem Sohn brach ab. Nach seinem Austausch ging der Spion a.D. nach Europa. »Als Sohn einer deutsch-jüdischen Mischehe aus der Vorkriegszeit hatte er auch große Identitätsprobleme«, sagt Regisseur Schirman, »er fühlte sich weder so ganz als Israeli noch als Deutscher.«
In München, Frankfurt, Wiesbaden, Köln und Berlin traf das Filmteam alte Weggefährten von Lotz. Darunter der deutsche Journalist Wolfgang Löde, der über den Prozeß gegen Lotz in Kairo berichtete, ein deutscher Priester, der Lotz im Kairoer Gefängnis besuchte, pensionierte Mossad-Agenten und ehemalige Kollegen von Lotz im Münchner Kaufhof, wo er verarmt und vereinsamt am Ende seines Lebens in der Sportartikel-Abteilung als Verkäufer arbeite.
Schirmans Film entzaubert Zeev Gur Arie alias Wolfgang Lotz. Von dem »Champagnerspion« bleibt nur eine tragische Gestalt übrig. Agenten sind so lange Lichtfiguren, wie sie im Einsatz sind. James Bond als rentner ist schwer vorstellbar.

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