von Holger Elfes
Läßt sich das Grauen des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau in einer Oper darstellen, einer der Unterhaltung dienenden Kunstform? Unmöglich, sagte Anita Lasker-Wallfisch, damals Cellistin des Frauenorchesters von Auschwitz und eine der letzten noch Überlebenden, nachdem sie das Libretto des gleichnamigen Stücks gelesen hatte. Die grausame Komplexität dieser Zeit lasse sich in einem so beengten Medium wie der Oper nicht angemessen wiedergeben. Dennoch: Am Samstag feiert eine solche Oper in Mönchengladbach Premiere. Zwölf Aufführungen sind geplant.
Musik als Zwangsarbeit – Musik als Lebensretter. In den Jahren 1943/44 gab es im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ein Frauenorchester, das sich aus Profi- und Laienmusikerinnen aus Deutschland, Frankreich, Polen und anderen europäischen Ländern zusammensetzte. Stefan Heucke hat daraus eine Oper gemacht. »Das Stück ist das größte Werk meines Lebens.« Viereinhalb Jahre hat der 46jährige Bochumer daran gesessen, dabei mehr als 800 Seiten Notenpapier beschrieben. Der Generalmusikdirektor der Vereinigten Bühnen Krefeld/Mönchengladbach, der Brite Graham Jackson, stand in den letzten Monaten vor der Aufgabe, daraus eine abendfüllende Oper zu gestalten. »Es ist ganz großartige Musik«, sagt Jackson und ist sich sicher: Die Erwartungen werden nicht enttäuscht. Nicht nur wegen des heiklen Stoffs. Auch wegen der hohen Kosten, die die Produktion verursacht. Zwei Orchester werden benötigt. Das eine spielt hinter der Bühne, ein zweites, das Frauenorchester von Auschwitz, agiert auf der Bühne.
Dazwischen gibt es eine die Bühne diagonal teilende Rampe, über die sich immer wieder gebeugte, graue Elendsgestalten schleppen und so dem Zuschauer nicht die Möglichkeit lassen, die böse Realität hinter dem Opernstück zu vergessen. Den gleichen Zweck verfolgt auch ein überdimensionaler Glaszylinder mitten auf der Bühne, der sich nach einer halben Stunde mit Rauch füllt. Für die Stücke des Frauenorchesters hat Heucke auf Überlieferungen aus dem Konzentrationslager zurückgegriffen. Auch wenn nicht alles genau dokumentiert ist, was in dessen Repertoire vorkam, so sind doch einige Stücke gesichert. So erquickten sich die SS-Aufseher etwa an Märschen wie Franz Schuberts Marche militaire oder Franz von Suppés Leichte Kavallerie. Eine weitere Aufgabe des Orchesters bestand in der musikalischen Begleitung der Selektion der Neuankömmlinge im KZ. »Mit den Klängen von Schumann, Strauß und Puccini wurde den Menschen suggeriert, daß es so schlimm hier ja gar nicht sein konnte«, erläutert der Tonsetzer. Im Kontrast dazu steht Heuckers zeitgenössisches Werk. Schon als 20jähriger hat Heucke nach eigenem Bekunden die Entscheidung getroffen, diese Oper zu schreiben. Damals hatte er den soeben auf deutsch erschienenen autobiographischen Roman Das Mädchenorchester von Auschwitz der Französin Fania Fénelon gelesen, die in dem Orchester gespielt hatte. Sie und 24 weitere Musikerinnen und Sängerinnen begegnen uns in der Oper wieder. Möglichst authentisch soll das Orchester auf der Bühne wirken. Die Originalinstrumentierung mit für den Opernbetrieb eher ungewöhnlichem Tonwerkzeug wie Blockflöte, Akkordeon und Mandoline ist weitgehend erhalten geblieben.
Die Rolle der damals weltberühmten Geigerin Alma Rosé, Nichte Gustav Mahlers und Leiterin des Frauenorchesters, ist mit der norwegischen Altistin Anne Gjevang besetzt. Sie ist eine von vielen Gastmusikern. »Die Aufgabe konnten wir nicht alleine stemmen und freuen uns daher über unsere Sponsoren«, sagt Generalintendant Jens Pesel. Zu ihnen gehört auch der Zentralrat der Juden in Deutschland.