Peter Grünberg

Speicherplatz zum Wohl der Menschheit

von Ingo Way

Als im Jahre 1887 in Hannover als eines von 14 Geschwistern Richard Wolf geboren wurde, ahnte niemand, dass er fast 100 Jahre später einen der bedeutendsten Wissenschaftspreise ins Leben rufen würde. Als junger Mann emigrierte Wolf, noch vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, nach Kuba und nannte sich fortan Ricardo. Dort heiratete er 1924 Francisca Subirana, ein berühmtes Tennis-Idol der zwanziger Jahre. Mit der Entwicklung eines verbesserten Verfahrens zur Eisenschmelze gelangte der passionierte Erfinder zu Reichtum. Während der kubanischen Revolution unterstützte Wolf Fidel Castro ideell und finanziell. Zum Dank erfüllte Fidel ihm einen Wunsch: Er ernannte Wolf 1961 zum kubanischen Botschafter in Israel. Das blieb er bis 1973 – in jenem Jahr brach Kuba seine diplomatischen Beziehungen zu Israel ab. Ricardo Wolf entschied sich, den diplomatischen Dienst zu quittieren und in Israel zu bleiben. Dort gründete er 1975 gemeinsam mit seiner Frau die Wolf Foundation. Ricardo und Francisca Subirana Wolf starben im Jahr 1981 in Herzlia.
Seit 1978 verleiht die Stiftung alljährlich in den Sparten Agrarwissenschaft, Mathematik, Chemie, Physik, Medizin und Kunst den weltweit renommierten Wolf Prize, der laut Satzung »für Errungenschaften zum Wohle der Menschheit und freundschaftliche Beziehungen unter den Völkern« vergeben wird. Zu den bisherigen Preisträgern gehören unter anderem Stephen W. Hawking, Carl Djerassi, Eric Kandel und der Nobelpreisträger Gerard ’t Hooft. Inoffiziell wird der Wolf Prize auch als »israelischer Nobelpreis« bezeichnet.
Dass die Stiftung ihrem Vorsatz »Errungenschaften zum Wohle der Menschheit« auszuzeichnen, auch in diesem Jahr gerecht wird, wird jeder bestätigen können, der beruflich darauf angewiesen ist, größere Datenmengen auf Speichermedien zu archivieren und zu verwalten. In der Sparte Physik wird der mit 100.000 US-Dollar dotierte Wolf Prize 2007 nämlich an zwei Forscher vergeben, die unabhängig voneinander im Jahr 1988 eine bahnbrechende Entdeckung gemacht haben – die Festkörperphysiker Peter Grünberg vom Forschungszentrum Jülich und Albert Fert von der Université Paris-Sud. Ihre Entdeckung: der Riesenmagnetowiderstand bzw. GMR-Effekt (engl.: Giant Magneto Resistance, GMR). Erst Anfang Januar erhielten beide Forscher für ihre Entdeckung den »Japan-Prize«, der mit circa 350.000 Euro dotiert ist.
Was versteht man unter Riesenmagnetowiderstand? Der herkömmliche magnetische Widerstand ist eher klein; trifft eine ferromagnetische Ebene auf ein magnetisches Feld, beträgt der elektrische Widerstand der Ersteren nur wenige Prozent. Dieser Effekt wird zum Lesen magnetischer Aufzeichnungen verwendet, etwa auf Videobändern oder Computerfestplatten. Die Forschungsgruppen um Fert und Grünberg entdeckten – für die übrige Fachwelt völlig überraschend – einen quantenmechanischen Effekt, bei dem durch geringfügige magnetische Änderungungen der elektrische Widerstand drastisch erhöht werden kann, und zwar auf mehr als 100 Prozent. Dieser Effekt ermöglicht die Speicherung von Daten in zuvor unbekannter Dichte, da ein entsprechender Lesekopf winzige Unterschiede in der Magnetisierung kleinster Partikel erkennen kann.
Die Firma IBM wurde auf die Erfindung aufmerksam, die Peter Grünberg sich rasch hatte patentieren lassen. IBM schloss einen Lizenzvertrag mit dem Forschungszentrum Jülich ab, der diesem bislang etwa 13 Millionen Euro eingebracht hat. 1997 brachte IBM einen Lesekopf auf den Markt, der mit dem GMR-Effekt arbeitet. Dadurch gelang der Durchbruch zu Gybabite-Festplatten. So können auf Computerfestplatten wesentlich größere Datenmengen gespeichert werden als zuvor. Wer sich über die enorme Zunahme der Speicherkapazität in den vergangenen zehn Jahren gewundert hat, bekommt nun die Erklärung nachgeliefert. Auch in Videorekordern, DVD-Geräten, MP3-Playern und ABS-Systemen für Autos wird die neue Technik angewendet. Ob all das noch dem Wohle der Menschheit dient, ist wohl eine Geschmacksfrage.
Die Jury der Wolf Foundation begründet ihre diesjährige Entscheidung damit, dass Grünbergs und Ferts Arbeiten »ein neues Forschungsgebiet in der Physik ins Leben gerufen haben, die Spintronik«. »Auf dem Feld der Technik hat der Riesenmagnetowiderstand die Magnetspeicherindustrie komplett revolutioniert«, heißt es in der Begründung der Wolf Foundation weiter. Die Spintronik (oder Spinelektronik) macht sich den quantenmechanischen »Spin« – also die Eigendrehung – der Elektronen für die Mikro- und Nanoelektronik zunutze. Zur Begründung des Preiskomitees meint Peter Grünberg: »Damit stimme ich insofern überein, als Albert Fert und ich das Glück hatten, auf einen Effekt zu stoßen, der ein neues Gebiet eröffnet hat. Dies war aber nicht reines Glück oder Zufall, sondern in beiden Fällen der Lohn für etwa ein Jahrzehnt intensiver Bemühungen.«
Grünberg freut sich über die Verleihung eines Preises durch eine israelische Institution. Er betrachtet diesen Umstand aber nicht politisch, sondern rein sachlich-wissenschaftlich. Kontakte zu forschungseinrichtungen und Wissenschaftlern in Israel hat Grünberg bislang nicht. Das sei allerdings Zufall; mit zahlreichen Kontakten in den USA, Japan und vielen europäischen Ländern sei der zeitliche Rahmen für weitere Kooperationen irgendwann einfach ausgeschöpft gewesen. Er schließt aber nicht aus, dass sich auf seiner bevorstehenden Reise nach Israel zur Preisverleihung entsprechende Kontakte ergeben könnten. Denn trotz seines Ruhestandes ist Peter Grünberg nach wie vor sehr aktiv und bemüht sich unter anderem um die allgemeinverständliche pädagogische Vermittlung des Riesenmagnetowiderstand-Effektes.
Überreicht wird der Preis den beiden Forschern und den Preisträgern der übrigen Sparten am 13. Mai 2007 in der Knesset vom israelischen Staatspräsidenten Mosche Katzav. Im Bereich Chemie geht der Preis übrigens an die israelische Biologin Ada Yonath vom Weizmann Institute of Science in Rehovot und an den tschechischstämmigen Physiker George Feher von der University of California für ihre Untersuchungen zur Struktur der Ribosomen. Was er in seiner Dankesrede sagen wird, weiß Peter Grünberg noch nicht so genau. »Sicher ist es mir ein Anliegen, auch die vielen exzellenten Beiträge, die es zur Spinelektronik in den letzten zwanzig Jahren weltweit gegeben hat, zu würdigen«.

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