von Thomas Schuler
»München war für Kafka eine Sehnsucht, die leider keine Erfüllung fand«, sagt Alfons Schweiggert, Autor des Buchs Kafka in München. Im November 1903 wollte der 20-jährige Jurastudent aus Prag der Enge der Heimat und dem Einfluss des übermächtigen Vaters entfliehen und in der bayerischen Hauptstadt Germanistik studieren. Ein Freund sollte ihn einführen. Kafka wartete tagelang im Café Luitpold auf den Freund – vergeblich. Der meldete sich nicht. Enttäuscht fuhr Kafka nach zwei Wochen nach Hause.
Damit war die Stadt für den Prager Autor aber nicht erledigt. Seine ersten Texte überhaupt veröffentlichte er 1908 in der Münchner Zeitschrift Hyperion. Und von seinen einzigen zwei öffentlichen Lesungen fand eine 1916 in München statt. Kafka trug die Erzählung In der Strafkolonie vor. Es war kein voller Erfolg. Teilnehmer erzählten später, drei Zuhörer seien ohnmächtig geworden, der Autor habe irritiert und hysterisch gekichert.
92 Jahre danach feiert München jetzt Kafka bis 3. August mit einer Ausstellung im Literaturhaus am Salvatorplatz. Die Kuratoren haben aus mehr als 1200 Fotos 140 ausgewählt, die selbst Kafka-Kennern teilweise unbekannt sein dürften. Ein offener Parcours aus violetten Brettern ist dem Grundriss der elterlichen Wohnung in Prag nachempfunden, in der Kafkas berühmte Erzählung Die Verwandlung spielt.
Glanzstücke der Ausstellung sind zwei Video-Dokumente: ein Gespräch mit der Pianistin Alice Herz-Sommer, das sie den Ausstellungsmachern vor wenigen Monaten im Alter von 104 Jahren gab, und ein wiedergefundenes Fernsehinterview von 1968 mit Kafkas Freund, dem Schriftsteller Max Brod. Brod korrigiert dort das Bild vom ernsten, depressiven Franz Kafka. Sein Freund, erzählt er, verfügte über eine »bezaubernde Witzigkeit und Spritzigkeit im kleinen Kreis«. Alice Herz-Sommer bestätigt das: Kafka sei ein »Gemisch aus Verzweiflung und Humor« gewesen, keine seiner Geschichten sei ohne Humor. Sie lese aus seinen Texten die Botschaft, dass man das Leben nicht so ernst nehmen solle. Kafka sei auch stets umgeben gewesen von hübschen Frauen, mit allen habe er allerdings das gleiche Problem gehabt: »Er konnte sich nicht entschließen!« Herz-Sommer sagt das mit Nachdruck und wippt dabei in ihrem Schaukelstuhl. Die Fotos scheinen diese Worte zu belegen. Wir sehen den Frauenhelden Kafka, der in 20 Jahren ebenso viele Beziehungen hatte. und wir lernen den Sportler Kafka kennen, einen begeisterten Schwimmer. Bücher wie Das Schloß und Der Prozess liest man nach dieser Ausstellung mit ganz anderen Augen.
www.literaturhaus-muenchen.de
Der Begleitband »Kafkas Welt« von Hartmut Binder ist im Rowohlt Verlag erschienen (687 S., ca. 1.200 Fotos, 68 Euro)