von Ingo Way
Die Szenerie ist spielfilmreif: Ein Hotelfoyer voller Männer mit grauen Mähnen und kleinen, älteren Damen mit wachem Blick. Genau so, wie man sich die idealtypische Konferenz von Psychoanalytikern vorstellt. Das Foyer gehört zum Hotel Maritim in der Stauffenbergstraße in Berlin, direkt gegenüber der Gedenkstätte deutscher Widerstand. Hier hält die Internationale Psychoanalytische Vereinigung (IPV) ihren 45. Kongress ab. Erstmals seit 1922 findet er in diesem Jahr in Berlin statt – nachdem die Psychoanalyse in den dreißiger Jahren aus Deutschland vertrieben wurde.
Es hat lange gebraucht, bis die IPV sich für Berlin als Tagungsort entschließen konnte. Denn unter den Mitgliedern sind zahlreiche Überlebende des Holocaust oder deren Kinder. Dem trägt das Thema des Kongresses Rechnung: »Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten in Psychoanalyse und Kultur heute«. 2.700 Teilnehmer aus aller Welt haben sich eingefunden, unter den Vortragenden sind so prominente Namen wie Margarete Mitscherlich, Judith Butler, Harold Blum, Nancy Chodorow und der Hirnforscher Gerhard Roth.
Das Leitmotiv »Erinnern« findet sich in den über 200 Vorträgen und Diskussionsrunden in vielfältiger Form wieder, sei es im Verhältnis von Psychoanalyse und Neurowissenschaft, beim Thema Kunst als Form der Erinnerung oder in Fragen der analytischen Behandlung. Angesichts des Ortes und der Lebensgeschichte vieler Teilnehmer liegt es jedoch nahe, dass als roter Faden immer wieder die Schoa, das Überleben sowie der Umgang mit Traumatisierungen der Opfer und ihrer Nachkommen sichtbar wird. Eine aus Polen stammende Psychoanalytikerin aus New York, die zum ersten Mal wieder in Deutschland ist, seit sie 1945 in einem Lager für Displaced Persons auf die Ausreise in die USA wartete, steht beispielhaft für viele. »Viele ältere jüdische Teilnehmer hatten Schwierigkeiten damit, nach Deutschland zu kommen«, sagt Arnold Richards, Co-Direktor des New Yorker YIVO Institute for Jewish Research, der schon einige Male in Berlin war. »Sie fragen sich, wie es hier aussähe, wenn das jüdische Leben nicht zerstört worden wäre.« Die »Anwesenheit der Abwesenheit« nennt Richards diese Atmosphäre. Dennoch ist dies für ihn einer der bisher besten IPV-Kongresse. »Diese Verbindung von Geschichte, Kultur und Psychologie ist einzigartig«, sagt er und bedauert nur, nicht sämtliche Museen besuchen zu können.
Natürlich geht es auf dem Kongress immer wieder um das auch heute noch oft schwierige Verhältnis zwischen deutschen und jüdischen Psychoanalytikern. Das Ehepaar Shmuel Erlich und Mira Erlich-Ginor aus Israel organisiert seit 1994 die sogenannten Nazareth-Konferenzen, auf denen bisher fünfmal deutsche und israelische Analytiker zusammenkamen. Die Erlichs sowie – als deutsche Teilnehmer der Nazareth-Konferenzen – Ursula-Kreuzer-Haustein und Hermann Beland berichten von den Begegnungen, die zu Anfang in erster Linie von gegenseitigen Projektionen geprägt waren. In Momenten wie diesen wird spürbar, wie ernst offenbar Selbstreflexion, Illusionslosigkeit und Offenheit unter Analytikern genommen werden. Mira Erlich-Ginor berichtet von dem tiefen Misstrauen, ja dem Hass, den sie auf der ersten Konferenz den Deutschen entgegenbrachte. Während ihres Vortrages gerät sie ins Stocken, ist den Tränen nahe. »Verzeihen Sie, als ich meinen Beitrag schrieb, war es nicht so emotional, wie jetzt, da ich ihn vortrage.« Ihr Mann reicht ihr ein Taschentuch, sie wischt sich die Augen ab, atmet tief durch, fährt fort. Erzählt von ihrem ambivalenten Verhältnis zu den eigenen negativen Emotionen und davon, wie ihr der Hass auch ein Gefühl von Macht verschaffte, wie das klare Feindbild ihr Identitätsgefühl verstärkte. Gleichzeitig ging den Israelis der »Schuldexhibitionismus« der Deutschen auf die Nerven, der von ihnen als unterwürfig wahrgenommen wurde. Ursula Kreuzer-Haustein erzählt von der Sehnsucht der deutschen Teilnehmer, von den Israelis anerkannt zu werden und gleichsam Absolution zu erhalten. Deren reservierte Art löste wiederum bei den Deutschen Wut aus. Dennoch sehen Deutsche wie Israelis die bisherigen Nazareth-Konferenzen weitgehend positiv. Sicher darf man gespannt sein, wie die Bilanz aussieht, wenn 2008 erstmals palästinensische Teilnehmer dazustoßen werden. Unbeantwortet ist nach wie vor die Frage, die Hermann Beland zum Schluss des Podiums aufwarf, ob sich Begrifflichkeiten aus der Individualanalyse, wie Unbewusstes und Über-Ich, auch auf Kollektive – Deutsche, Israelis, Palästinenser – übertragen lassen.
Wie sich ein Verhältnis von Deutschen und Israelis, jüdischen und nichtjüdischen Deutschen – nicht nur Psychoanalytikern – jenseits der Konzepte von »Normalität« und »Versöhnung«, die beide den realen Abgrund nur rhetorisch überbrücken, denken ließe, scheint in dem Beitrag von Vera Treplin auf. 1938 in Köln geboren, wurde Treplin als Kind in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Ihre Mutter wurde dort ermordet. Nach dem Krieg sah sie sich ständig mit unverhohlenem Antisemitismus konfrontiert, auch und gerade in psychoanalytischen Ausbildungsstätten und Instituten – und das noch bis weit in die achtziger Jahre hinein. Ihre individuellen Neurosen hätten nichts mit ihrer KZ-Erfahrung zu tun, überhaupt müsse doch mal ein Schlussstrich gezogen werden, bekam sie auch von wissenschaftlichen Koryphäen zu hören. Ein gedeihliches Miteinander zwischen Tätern, Opfern und deren Nachkommen sei, so Treplin, nur möglich, indem »die Spannung gehalten« (und eben auch ausgehalten) werde – im vollen Bewusstsein der Unmöglichkeit von Versöhnung. Treplin ist, muss man wissen, mit einem nichtjüdischen Deutschen verheiratet, der in der Hitlerjugend war.