von Klaus-Peter Schmid
Gute Nachrichten machen selten Schlagzeilen. Wäre das anders, hätte die Öffentlichkeit in den vergangenen Wochen und Monaten mehr über die Arbeit der Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« erfahren. Der Bundestag hat sie vor bald sieben Jahren damit betraut, die noch lebenden NS-Zwangsarbeiter zu entschädigen. Diese Aufgabe hat die Stiftung jetzt abgeschlossen. Mehr als vier Milliarden Euro wurden an 1,66 Millionen Opfer überwiesen. Und das ohne laute Misstöne, ohne Gefeilsche, ohne eitles Gezänk. Mitte Juni wird Bundespräsident Horst Köhler in einer Feierstunde eine politische Bilanz ziehen. Er könnte dann mit Fug und Recht sagen: Was hier geleistet wurde, ist bemerkenswert.
Zunächst einmal, weil der Start des Unternehmens höchst mühsam war. Am Anfang stand im August 1998 das kategorische Wort des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl: »Wenn Sie glauben, ich würde die Bundeskasse noch einmal aufmachen, dann ist die Antwort nein.« Erst der Regierungswechsel im Herbst jenes Jahres führte zu einem Umdenken, erst das Engagement Gerhard Schröders öffnete den Weg für die Entschädigung. Zweieinhalb Milliarden Euro stellte der Bund zur Verfügung, die gleiche Summe kam von den Unternehmen. Zunächst versuchte sich die Wirtschaft ihrer Verantwortung zu entziehen. Nur dem persönlichen Einsatz führender Konzernvertreter ist es zu danken, dass insgesamt rund 6.600 Unternehmen jeder Größe ihren Teil zu den 2,5 Milliarden Euro beitrugen.
Einen nicht geringen Anteil am Erfolg hat auch die Arbeit der Stiftung selbst. Kompetenz, Verantwortungsbewusstsein und Engagement fanden in Vorstand und Kuratorium zusammen. Am Berliner Sitz der Stiftung war stets zu spüren, dass Zahlen, Dossiers und Geldsummen nicht den Blick dafür verstellen dürfen, dass dahinter menschliche Schicksale stehen. Geradezu erstaunlich ist im Rückblick, wie reibungslos die Entscheidungen von der Beurteilung der Akten bis zur Verteilung der Summen vor sich gingen. Es war ein kluger Entschluss, nur einen Rahmen zu definieren und dann die wesentlichen Schritte sieben Partnerorganisationen anzuvertrauen. Ob in Weißrussland oder der Ukraine, bei der Jewish Claims Conference oder der International Organization for Migration in Genf – die Partner antworteten auf das in sie gesetzte Vertrauen mit hoher Zuverlässigkeit.
Ein Unternehmen, das Milliarden zu verteilen hat, kann es natürlich nicht allen recht machen. Für manche Opfer dauerte das jahrelange Verfahren bis zur Auszahlung einer ersten Rate endlos lange. Fast zehn Prozent der Betroffenen starben, während ihr Antrag und die geforderten Beweisstücke geprüft wurden. Die ausbezahlten Summen (maximal 7.500 Euro) erschie- nen manchem Empfänger eher als Almosen denn als Entschädigung. Manche Abgrenzung wirkt im Rückblick anfechtbar und kleinlich, etwa die Abweisung von Kriegsgefangenen, die Zwangsarbeit zu leisten hatten. Ein Ärgernis ist nicht zuletzt, dass die Stiftung 62 Millionen Euro an amerikanische Anwälte überweisen musste, damit sie auf weitere Klagen verzichteten.
Es wäre zudem falsch, das hohe Lied der moralischen Einsicht anzustimmen. Denn die Motivation der Spender war nicht selbstlos. Otto Graf Lambsdorff, der ein großes Verdienst am Zustandekommen der Stiftung hat, sagte es unverblümt: »Die deutsche Wirtschaft hätte für diese Anstrengung nicht gewonnen werden können, wenn sie nicht auch ein ökonomisches Interesse daran gehabt hätte.« Ohne die Klagen vor amerikanischen Gerichten, ohne die Angst vor dem Boykott deutscher Produkte auf dem US-Markt wären die Stiftungsmittel nie zusammengekommen. Dennoch: Die Öffentlichkeit (und nicht zuletzt die Medien) standen und stehen eindeutig hinter dem Bemühen, von Deutschen begangenes Unrecht auch noch nach langen Jahren wenigstens zu mildern. Mehr als eine Geste guten Willens konnte das ohnehin nicht sein.
Georg Heuberger, der Vertreter der Jewish Claims Conference in Deutschland, sprach von einem »wichtigen zivilisatorischen Fortschritt, auch wenn es nur Millimeter sind«. Bei allen Einschränkungen bleibt die Entschädigung von Menschen, die unter einer Diktatur Zwangsarbeit leisten mussten, ein Vorgang, der seinesgleichen sucht. Wenn die Opfer das über die materielle Hilfe hinaus als Bemühen um Versöhnung verstanden haben, dann hat sich die Anstrengung vielfach gelohnt.
Im Wallstein Verlag erscheint demnächst unter dem Titel »Gemeinsame Verantwortung und moralische Pflicht« der Abschlussbericht der Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft«.