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Soziales Netzwerk

»Was machen Sie eigentlich noch in diesem Land?« Mit dieser provozierenden Frage sorgte der israelische Präsident Ezer Weizmann bei seinen deutsch-jüdischen Gastgebern für viel Unruhe. Diplomatisch wurde sein Deutschlandbesuch dadurch zu einem Tritt in den Fettnapf. Und doch war Weizmann seinerzeit mit der Verwunderung über die Präsenz einer wachsenden jüdischen Gemeinde im wiedervereinigten Deutschland keineswegs eine Ausnahme.
Mit dem Zusammenbruch des Kommunismus erlebte auch das europäische Judentum einen dramatischen Wandel. Der 20. Jahrestag des Epochenumbruchs ist deshalb Anlass genug, nach den Auswirkungen der Revolutionen auf das jüdische Leben im neuen Europa zu fragen. Dazu veranstaltete vergangene Woche das American Jewish Committee gemeinsam mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland ein Symposium im Berliner Roten Rathaus.
Gibt es sie, die vielzitierte Renaissance des europäischen Judentums? Die Demokratie hat offenes jüdisches Leben in vielen Gegenden Osteuropas überhaupt erst möglich gemacht. Gleichzeitig hat die demokratische Umwälzung alte Schreckgespenster wachgerufen, die unter dem De-ckel des Kommunismus lange Zeit verbor- gen waren. Nationalistische oder gar rechtsextreme Parteien wurden gegründet. Antijüdische Stimmungen flammten auf, berüchtigte historische Figuren wie Marschall Antonescu in Rumänien galten plötzlich wieder als Helden. Gleichzeitig übte die extrem angespannte ökonomische Lage in vielen osteuropäischen Staaten zu Beginn der 90er-Jahre einen enormen Druck aus. Auswanderungswellen haben die zurückgebliebenen Gemeinden vor allem in den ehemaligen GUS-Staaten in ihrer Substanz erheblich geschwächt. Andernorts, etwa in Deutschland, bedeutete das zugleich die Stärkung bestehender Gemeinden. Neu war mit dem Fall des Kommunismus aber auch das Verhältnis der ehemaligen Satelliten Moskaus zu Israel. Erstmals nach jahrzehntelanger politischer Eiszeit konnten diplomatische Beziehungen aufgenommen werden.
Motya Chlenov zeigte am Beispiel Russlands, dass es mittlerweile einen regen Austausch zwischen ausgewanderten und in Russland verbliebenen Juden gibt. Für manche sei Israel inzwischen eine Art Florida, vor allem, seit im Jahr 2008 die Visapflicht zwischen beiden Ländern aufgehoben wurde. Das russische Judentum verorte sich heute zugleich weniger in Europa, vielmehr als Teil einer weltweiten Gemeinde russischsprachiger Juden. Überhaupt betonten auch andere Teilnehmer des Symposiums die Frage der Identität: Wie definiert man Jüdischsein in einer Zeit vieler Mischehen und schwindender Bindungen an die Tradition? Wie müssen die Gemeinden organisiert sein, damit sie Bestand haben? Welchen Raum nimmt das jüdische Leben außerhalb der Gemeinden, nicht zuletzt im von Religion und Tradition losgelösten Umfeld einer säkularisierten Gesellschaft, ein? Chlenov sieht einen Schlüssel künftigen Erfolgs in sozialen Netzwerken, die dank des Internets enorm an Bedeutung für den Zusammenhalt von Juden gewonnen hätten.
Viel mehr als eine kurze Bilanz durch das Anreißen eines gewaltigen Themenspektrums bot die knapp bemessene Zeit der Veranstaltung leider nicht. Und somit muss die Beantwortung der Frage, ob das Judentum Europas 20 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs erneut an einer Schwelle steht, vertagt werden. Carsten Dippel

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