von Hans-Ulrich Dillmann
»Masel tow« hallt es am Strand des Ritz-Carlton Hotels in Montego Bay. Das Knacken zersplitternden Glases, das Bräutigam Brian wie es die Tradition fordert, zertreten hat, ist in den »Viel Glück«-Rufen untergegangen. »Masel tow« wünscht die Schwiegermutter dem frisch vermählten Ehegatten ihrer Tochter Rachel. Freunde umarmen den strahlenden Bräutigam unter der Chuppa, dem Traubaldachin. Am feinsandigen Strand des exklusiven Ferienzentrums an der Nordküste Jamaikas brechen sich derweil Wellen, türkisfarben mit aufschäumendem Weiß.
Den rund zwei Dutzend Gästen servieren livrierte Kellner und Kellnerinnen Champagner und koschere Schnittchen. Die Eltern des Brautpaars haben sich den ehelichen Treueschwur ihrer Kinder etwas kosten lassen. »Masel tow« wünscht auch Stephan Henriques, der die Trauungszeremonie vorgenommen hat. »Das war meine 25ste Hochzeit in diesem Jahr«, sagt Henriques. »Ein toller Jahresabschluss und dazu noch an Chanukka.«
Seit sechs Jahren traut der 46-Jährige auf der viertgrößten Karibikinsel vornehmlich Brautpaare aus den USA. »Ich habe allerdings schon russische Juden unter die Chuppa gebracht, die nach Israel ausgewandert waren. Und einige englische Paare sind hier zur Trauung gewesen«, sagt der Agrarmaschinenhändler. Fast 200 Paare – »von denen mindestens ein Partner jüdisch sein muss« – haben bisher unter der »fliegenden Chuppa«, wie Henriques sie nennt, den Bund für Leben geschlossen. Normalerweise fungiert Henriques in Kingston, der Hauptstadt Jamaikas, als Chazan und Vorbeter in dem einzigen Gotteshaus auf der Insel, der Shaare- Shalom-Synagoge. Rund 250 Gemeindemitglieder zählt die zur konservativen Bewegung gehörende United Congregation of Israelites. Neben der »Gottespforten«–Synagoge verfügt die Gemeinde seit November auch über ein Gemeindezentrum mit einem Museum.
Zwar leben seit genau 351 Jahren Juden auf der »Rasta«-Insel, aber bisher hat Henriques nur selten Gelegenheit gehabt, Mitglieder seiner Congregation unter dem Baldachin zu trauen. »Ich war gerade drei Monate im Amt, als ein Mitglied unserer kleinen Gemeinde heiratete und mich bat, die Trauung vorzunehmen.« Hoch in den Bergen von Stone Hill, einem Vorort von Kingston, wurde dazu aus Bambusstangen ein Traubaldachin im Garten der Brauteltern aufgebaut, abgedeckt mit wehenden weißen Tüchern und geschmückt mit roten und violettblauen Bouganvillea- sowie weißen Hibiskus-Blüten. Alle waren begeistert von dem Arrangement und der Atmosphäre, die Henriques mit seiner »Flying Chuppah« geschaffen hatte.
Angefangen mit dem Angebot für jüdische Heiratswillige aus dem Ausland hatte bereits der Vorgänger von Stephan Henriques in der Kingstoner Synagoge. »Ernst DeSouza, über 20 Jahre unser religiöser Leiter, hatte immer mal wieder jüdische Brautpaare getraut, die in eines der vielen All-inclusive-Hotels der Insel gekommen waren.« Sich das Ja-Wort unter tropischer Sonne zu geben ist in, auch bei jüdischen Heiratswilligen. Was gibt es Schöneres, als »Simchat Chatan we Kalla«, die Freude von Braut und Bräutigam, auf einer Karibikinsel mit Strand und unter Palmwedeln zu genießen, scheinen sich viele zu fragen.
Da macht es wenig aus, dass plötzlich die halbe Hochzeitsgesellschaft den Sand unter dem Traubaldachin durchwühlen muss, nur weil der Bräutigam vor Nervosität die Trauringe hatte fallen lassen. »Zum Glück haben wir sie wiedergefunden«, erzählt Henriques lachend. Oder der Vater des Bräutigams mit verlegen dem Gesicht eingestehen musste, dass er die beiden goldenen Ringe wohl im Safe zuhause vergessen hatte.
Meist buchen die Brautpaare direkt in den Hotels. Inzwischen haben fast alle Ferienanlagen eigene »Wedding Packages«, ein Rundum-Angebot für den »schönsten Tag im Leben«. Entweder setzt sich das Hotel dann mit Henriques in Verbindung oder die Brautleute nehmen direkt mit ihm Kontakt auf. Rund 700 US-Dollar verlangt er für ein Komplettangebot. Die Chuppa wird unter seinen Anweisungen vor Ort gebaut und wer möchte, »kann auch in unserer alten und wunderschönen Synagoge heiraten. Die Shaare-Shalom-Synagoge ist eine von sechs jüdischen Gotteshäusern in der Welt, deren Boden komplett mit weißem Sand bedeckt ist. »Jamaika ist wirklich ein Heiratsparadies. Auch für Juden«, sagt Stephan Henriques.