von Sabine Dobel
Ein Krankenwagen steht schon am Hangar, als aus tief hängenden Wolken die Sondermaschine mit der Kennnummer N250LB auftaucht und auf der Landebahn aufsetzt. Nach monatelangem Rechtsstreit ist der mutmaßliche NS-Verbrecher John Demjanjuk am Dienstagmorgen aus Cleveland/Ohio am Flughafen in München eingetroffen. Er hat den Kampf gegen seine Abschiebung aus den USA verloren – sein Alter und seine angeschlagene Gesundheit schützten ihn nicht. Die Staatsanwaltschaft München will den 89-Jährigen vor Gericht stellen.
Demjanjuk soll vor 65 Jahren im deutschen Vernichtungslager Sobibor im besetzten Polen Beihilfe zum Mord an mindestens 29.000 Juden geleistet haben. Der gebürtige Ukrainer habe geholfen, die Menschen in die Gaskammern zu treiben. »Wenn er nichts Entlastendes vorbringt, wird man in wenigen Wochen die Anklage erheben können«, sagt Oberstaatsanwalt Anton Winkler. Dann könnte der Prozess noch in diesem Jahr beginnen – wegen des hohen Alters von Beschuldigtem und Zeugen drängt die Zeit.
Die Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, äußert sich nach Demjanjuks Ankunft zufrieden. »Ich glaube, es ist sehr, sehr wichtig für unsere Nachkommen, dass sie sich mit diesem Thema befassen können und durch diesen Prozess – wenn er wirklich durchgeführt wird – Einblicke bekommen in die mörderischen Untaten des nationalsozialistischen Regimes.« Das Simon Wiesenthal Zentrum setzte Demjanjuk an die erste Stelle der zehn meistgesuchten Nazi-Verbrecher.
Dieser bestreitet die Vorwürfe. In Interviews sagte sein Sohn John Demjanjuk jr. zuletzt, sein Vater sei zu krank, um für sich selbst zu kämpfen. Seine Unschuld sei aber in früheren Verfahren bewiesen worden. In Israel war Demjanjuk in den 80er-Jahren wegen Verbrechen als angeblicher »Iwan der Schreckliche« im Vernichtungslager Treblinka zum Tode verurteilt, später aber freigesprochen worden, da seine Identität nicht eindeutig geklärt werden konnte.
Demjanjuk wurde 1940 als 20-Jähriger von der Roten Armee eingezogen und geriet 1942 in deutsche Gefangenschaft, in der Millionen sowjetische Gefangene starben. Der junge Ukrainer nahm das Angebot an, mit den Deutschen zusammenzuarbeiten, und wurde zum SS-Wachmann ausgebildet. Hauptbeweismittel gegen ihn ist ein SS-Dienstausweis mit der Nummer 1393, der seine Tätigkeit in Sobibor belege. Danach soll Demjanjuk auch Wachmann im KZ Flossenbürg gewesen sein, dort werden ihm aber keine Verbrechen zur Last gelegt.
Demjanjuks Münchener Anwalt Günther Maull warnt unterdessen vor einer möglichen Verhandlungsunfähigkeit seines Mandanten. »Wenn er doch auf Dauer nicht verhandlungsfähig ist, muss das Verfahren eingestellt werden – und dann haben wir einen älteren Mitbürger dazugewonnen, den wir versorgen müssen.« Dann müsse der Steuerzahler für Demjanjuk aufkommen. »Amerika nimmt ihn nicht zurück, und sonst nimmt ihn auch keiner. Er ist staatenlos, es will ihn keiner haben.«
Am Montag war Demjanjuk aus seinem Haus in Seven Hill in Ohio mit einem Krankenwagen abgeholt worden. Fotos zeigen Angehörige, die ihn mit einem Bettlaken vor den Kameras abschirmen, als er in den Wagen gebracht wird. In München untersuchte noch am Flughafen ein Landgerichtsarzt den 89-Jährigen, der nach Maulls Angaben an einer Nierenerkrankung und einer Vorstufe zur Leukämie sowie an Rheuma und Gicht leidet. Demjanjuks Zustand soll stabil sein. Allerdings wurde er auch in München nicht im Polizeiauto, sondern im Krankenwagen im Liegen nach Stadelheim gebracht.
In der Haftanstalt wird er nun zunächst eine gut 20 Quadratmeter große Zelle in der Pflegeabteilung mit einem Rollstuhlfahrer teilen, ein Krankenbett steht für ihn bereit. »Wir sind organisatorisch, ärztlich, pflegerisch und räumlich in der Lage, die Behandlung eines sehr alten und sehr kranken Menschen zu bewältigen«, sagte der stellvertretende Leiter der JVA, Jochen Menzel. Der 89-Jährige bekomme leichte Diabeteskost.