Wichtiger Dialogvon Jürgen Boos
Die Frankfurter Buchmesse organisiert mit finanzieller Unterstützung des Auswärtigen Amts zum siebten Mal in Folge einen deutschen Gemeinschaftsstand auf der Internationalen Buchmesse in Teheran. In diesem Jahr werden dort rund 600 Bücher zu Themen wie beispielsweise »Kinder- und Jugendbuch«, »Mozart«, »Freud« sowie »Menschenrechte« ausgestellt.
Die Frankfurter Buchmesse unterstützt mit ihren Buchausstellungen im Ausland den Dialog der Kulturen, sucht den Kontakt zu den Besuchern dieser Messen und präsentiert ihnen so die Vielfalt der deutschsprachigen Literatur. Wir werden 2006 an mehr als 25 Buchmessen weltweit teilnehmen, von Warschau über Moskau bis Taiwan und Peking. Auch in den Jahren des Eisernen Vorhangs haben wir versucht, in totalitären Ländern dabeizusein, um in Dialog mit der Bevölkerung zu treten und den Besuchern unserer Buchausstellungen den Zugang zur deutschen Literatur zu ermöglichen – einer Literatur, die keine Zensur kennt und die die in unserem Land herrschende Meinungsfreiheit widerspiegelt.
In Teheran wenden wir uns mit diesem Angebot an eine interessierte Mittelschicht, die mit offenen Augen durch die Welt geht, oft schon im Ausland gelebt hat oder zumindest dorthin verreist, und mit Sicherheit die fundamentalistische Ideologie des iranischen Regimes nicht teilt. Die Buchmesse in Teheran verzeichnete 2005 rund 2,5 Millionen Besucher. Mit diesen Menschen kommen wir auf der Messe in Kontakt, mit ihnen tauschen wir uns aus. Dasselbe gilt für Frankreich und die Schweiz, mit denen wir in Teheran gemeinsam auftreten.
In einem Land wie dem Iran, das keine westlichen Buchhandelsstrukturen kennt, ist eine Messe oft die einzige Zugangsmöglichkeit zu Literatur und Fachinformation. Und genau das ist Teil unseres Auftrags: Diskurs und Dialog zu ermöglichen und durch den Zugang zu Literatur kritisches und auch politisches Denken zu fördern.
Die Kritik, daß die deutsche Buchbranche sich auf der Teheraner Buchmesse präsentiert, kann ich deshalb nicht nachvollziehen. Die Buchmesse in Teheran ist eine jener Veranstaltungen, die neben einer kommerziellen insbesondere eine kulturelle Bedeutung haben. Wir haben in Teheran die Möglichkeit, mit den gezeigten Büchern und über zahlreiche Gespräche viele Menschen zu erreichen, die keine Parteigänger des Regimes sind. Würden wir die Messe boykottieren, wären es gerade diese Menschen, die wir treffen würden – und nicht etwa das Regime. Das ist vergleichbar mit der Diskussion um die Teilnahme des Irans an der Fußball-WM. Wir sind der Ansicht, daß wir durch Isolation die falschen Menschen treffen und sie dadurch verlieren würden.
Die Frankfurter Buchmesse verurteilt die Aussagen des iranischen Präsidenten ohne Einschränkung. Wir teilen die Befürchtungen Israels und der jüdischen Gemeinden. Der Direktor der Jerusalemer Buchmesse, an der wir seit Jahrzehnten teilnehmen, ist ein guter Freund unserer Messe; es gibt eine enge Zusammenarbeit und sehr gute Kontakte zwischen deutschen und israelischen Verlagen. All dies sollte uns aber nicht daran hindern, sondern uns sogar darin bestärken, in den Dialog mit der iranischen Zivilgesellschaft zu treten. Dieser Dialog ist notwendiger denn je, auch und gerade wegen des iranischen Regimes.
Kritiker stellen einen Zusammenhang zwischen vermeintlich antisemitischen Büchern auf der Frankfurter Buchmesse und unserer Teilnahme in Teheran her. Das ist sehr weit hergeholt. Wir werden mit Nachdruck gegen volksverhetzendes oder antisemitisches Schrifttum auf der Frankfurter Buchmesse vorgehen. 2005 haben wir nach einem Hinweis auf antisemitische Schriften unverzüglich die Frankfurter Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Darüber hinaus stehen wir in ständigem Dialog mit jüdischen Organisationen. Sollte es 2006 antisemitische Werke an Ständen auf der Buchmesse geben, werden wir dagegen vorge- hen, ohne Wenn und Aber.
Wichtige Grenze
von Jochen Feilcke
Wenn ein Bombenleger nicht nur in meinem eigenen Haus, sondern auch öffentlich erklärte, er werde das Haus meines Freundes mitsamt seinen Bewohnern in die Luft jagen, würde ich seine Einladung zum kulturellen Diskurs in seiner noblen Kellerbar sicher nicht annehmen. Schon die Solidarität mit meinem Freund fordert meine Ablehnung, aber auch meine Selbstachtung. Die Tatsache, daß ich ihn nicht aus meinem Haus geworfen habe, rechtfertigt jedenfalls nicht, daß ich ihm durch meinen Besuch zu verstehen gebe, daß das Leben eben weitergehe.
Gelten bei internationalen Beziehungen zwangsläufig andere Regeln als beim Verhalten zwischen Menschen? Iranische Verlage haben an ihrem Stand in Frankfurt am Main im vergangenen Jahr die in Deutschland verbotenen »Protokolle der Weisen von Zion« demonstrativ ausgelegt und damit die menschenverachtende Politik ihres Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad offensiv unterstützt.
Müssen wir Nachsicht und Rücksicht walten lassen, wenn unser Außenhandel tangiert sein könnte? Iran ist für Deutschland der wichtigste Handelspartner in der Region. Das Handelsvolumen zwischen Deutschland und Iran dürfte in diesem Jahr aber deutlich zurückgehen. Politische Agitation, Boykottaufrufe und Protestmärsche wegen der Mohammed-Karikaturen werden die Handelsbilanz belasten. Davon ist Dänemark dramatisch betroffen – wo bleibt die EU-Solidarität?
Wenn Irans Präsident Ahmadinedschad seine versprochenen Infrastrukturvorhaben umsetzen will, ist er auf den Handelspartner EU angewiesen. Seine Boykottaufrufe schaden seinem Außenhandel wissentlich auch zum Nachteil der eigenen Bevölkerung. Das nimmt er in Kauf. Für ihn gilt: »Wir brauchen kein Geld, sondern Gott.«
Welche Maßstäbe und Grundsätze leiten uns eigentlich, wenn es um die Teheraner Buchmesse geht? Unser Appell, die Teilnahme an der Teheraner Buchmesse zu stornieren, richtet sich nicht gegen die Gesellschaft, sondern gegen den Staat Iran und seinen Präsidenten. Selbst zum Verdruß seiner arabischen Nachbarn provoziert und beleidigt er ohne Unterlaß die Welt, insbesondere die westliche Welt, seine »Lieblingsthemen« sind die Vernichtung Israels und die Leugnung des Holocaust.
Bei einem Boykott der Teheraner Buchmesse mag es auch unerwünschte Nebenwirkungen geben. Es mag sein, daß Germanistikstudenten der Teheraner Univer- sität keine Bücher bekommen. Aber müssen wir das nicht in Kauf nehmen, wenn es um so hohe Güter geht wie Demokratie, Freiheit der Meinungsäußerung und Existenzrecht Israels?
Stechen dagegen die Argumente des Direktors der Frankfurter Buchmesse, Jürgen Boos? Eine Nichtteilnahme würde unter anderem die kulturell aufgeschlossene Schicht im Iran treffen, die deutsch spricht und sich für deutsches Gedankengut interessiert. Meine Fragen an Herrn Boos: »Dürfen deutsche Aussteller umfassend selbst entscheiden, was sie ausstellen, auch kritische Literatur? Unterziehen sie sich in vorauseilendem Gehorsam gar der Selbstzensur? Wie verhalten sie sich, wenn ebenso wie in Frankfurt antisemitische Machwerke ausgestellt werden?
Auch im Iran sind die Menschen nicht ausschließlich auf gedruckte Bücher angewiesen. Das Internet ermöglicht auch ihnen einen Zugriff auf die Weltliteratur. Ein Protest in der Form des Boykotts der Teheraner Buchmesse hat gerade die Freiheit der Gesellschaft des Iran und den Dialog mit ihr im Auge.
Die Nationalsozialisten, die den olympischen Gedanken der Völkerverständigung stets als »geistige Verirrung« abgetan hatten, erkannten die Chance, mittels der Olympischen Spiele 1936 einen enormen Prestigezuwachs im In- und Ausland zu erreichen. Antisemitische Parolen verschwanden aus dem Stadtbild, Hetze gegen Juden war für die Dauer der Spiele auch in den Medien verboten.
Für die nationalsozialistische Innen- wie Außenpolitik waren die Olympischen Spiele in Berlin ein voller Erfolg. Die Einschränkung der Pressefreiheit, die Evakuierung aller in Berlin lebenden Sinti und Roma an den Stadtrand nach Marzahn und die Errichtung des Konzentrationslagers Sachsenhausen parallel zu den Spielen wurden im In- und Ausland kaum wahrgenommen. Die amerikanische »Amateur Athletic Union« hatte sich mit knapper Mehrheit gegen einen Boykott entschieden, die anderen Staaten waren diesem Beispiel gefolgt ...
Wir sollten den Wert von symbolischen Handlungen nicht gering schätzen. Sie werden um so mehr wahrgenommen, je mehr wir darüber öffentlich diskutieren. Und bei allem, was wir auch im politischen, im internationalen »Geschäft« tun, sollten wir uns fragen, ob wir uns auch am nächsten Tag noch gern im Spiegel betrachten wollen. Wir fordern deshalb, daß der deutsche Buchhandel seine Teilnahme an der Teheraner Buchmesse vom 4. bis 15. Mai umgehend storniert.