religionsunterricht

soll es religionsunterricht an staatlichen schulen geben?

Gewinn für alle
von Rabbinerin Gesa Ederberg

Eine jüdische Antwort auf die Frage, ob und wie Ethik- und Religionsunterricht an den Schulen unterrichtet werden soll, muss drei Perspektiven berücksichtigen: die der jüdischen Kinder und Jugendlichen, der jüdischen Gemeinschaft und der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft. Für alle drei Gruppen ist konfessioneller Religionsunterricht an den Schulen ein Gewinn.
Nach deutschem Recht ist Religion zwar keine staatliche, aber doch eine öffentliche Aufgabe – im Unterschied zu einem laizistischen Konzept, in dem Religion reine Privatsache ist. Da der Staat selbst zu weltanschaulicher Neutralität verpflichtet ist, fördert er die gesellschaftliche Mitwirkung von Religionsgemeinschaften und schafft institutionelle Voraussetzungen, um die Religionsgemeinschaften in das öffentliche Leben einzubeziehen. Es ist eine Chance, gerade auch für religiöse Minderheiten, auf diese Weise eine deutliche Stimme in der Öffentlichkeit erheben zu können. Es ist gut für unsere Gesellschaft, wenn auch die kleineren Religionen den öffentlichen Raum – und insbesondere die Schule, in der die nächste Generation geprägt wird – mitgestalten. Was für ein Gewinn für den Geschichts-, Deutsch- oder Kunstunterricht, wenn zum Kollegium ganz selbstverständlich auch ein jüdischer Religionslehrer gehört, der jüdische Kompetenz und Ansprechbarkeit ins Lehrerzimmer bringt – und sei es auch nur mit wenigen Stunden in der Woche. Wenn »Jüdische Religion« ein ordentliches Schulfach ist, müssen Schulbücher und Curricula entstehen, und das Judentum kann sich selbst darstellen, anstatt nur für einen Ausflug ins Exotische gut zu sein.
Die Jüdische Gemeinde braucht die Verankerung des Religionsunterrichts in der Schule, denn nur dann hat der Unterricht eine reale Chance, die Mehrzahl unserer Kinder und Jugendlichen zu erreichen. Wer sich die Belastung der Kinder und Jugendlichen in der Mittel- und Oberstufe durch Schule und Hausaufgaben anschaut, sieht schnell, dass eine zusätzliche »Sonntagsschule« nur wenig Chancen hat.
Zuletzt das Wichtigste: die Kinder und Jugendlichen selbst. In Gesprächen mit Kindern im Bar/Bat-Mizwa-Alter höre ich immer wieder, wie belastend es für sie ist, in ihrer Schulklasse als Experte/in in Sachen Judentum – oder gar Antisemitismus und Schoa zu gelten. Dass die Kinder dabei auch inhaltlich völlig überfordert sind, ist eigentlich selbstverständlich: Wie soll eine 13-Jährige Schabbat erklären können, wenn ihre Familie Schabbat nicht hält – und selbst wenn sie in einem observanten Haushalt aufwächst, wie soll sie ihre eigene Erfahrung ohne Hilfe so vermitteln können, dass sie nicht als »komisch« vor ihren Klassenkameraden da steht? Wie soll ein 14-Jähriger fundiert »die jüdische Position« zu einem ethischen Thema erklären und vertreten können, wenn er kein jüdisches Forum hat, in dem er beispielsweise lernen kann, was der Begriff »Zedaka« bedeutet, wie er praktisch umgesetzt wird und wie sich dieser hebräische Begriff zum deutschen Begriff »Gerechtigkeit« verhält?
Die Gesellschaft, die jüdische Gemeinde und vor allem die jüdischen Kinder und Jugendlichen können nur gewinnen, wenn jüdischer Religionsunterricht seinen Platz als ordentliches Unterrichtsfach an den Schulen findet – und das Gleiche gilt für andere Religionen.

Gemeinsam reden
von Gregor Wettberg

Die Ausgangslage ist einfach: Das weltanschaulich, laizistisch ausgerichtete Fach »Ethik« ist in Berlin für alle Schülerinnen und Schüler verpflichtender Unterrichtsbestandteil, konfessioneller Religionsunterricht dagegen nicht. SPD und Linke haben dies 2006 beschlossen, die Bürgerinitiative Pro Reli versucht, wie schon bei der erfolglosen Tempelhof-Kampagne unter maßgeblicher Beteiligung der CDU dagegen vorzugehen. Zu den Unterstützern von Pro Reli gehört auch die Jüdische Gemeinde zu Berlin.
Das Hauptargument von Pro Reli lautet vereinfacht, ein »Zwangsethik«-Fach verletze die persönliche Wahlfreiheit. Der Staat mische sich in monopolistischer Weise in die Wertevermittlung ein und missachte dadurch seine Neutralitätspflicht. Nein, sagt dazu das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 15. März 2007 (1 BvR 2780/06): Das Land Berlin darf sehr wohl »im Rahmen seines Erziehungsauftrages [...] die Einführung eines gemeinsamen Ethikunterrichtes für alle Schüler ohne Abmeldemöglichkeit vorsehen [...], um so die damit verfolgten legitimen Ziele gesellschaftlicher Integration und Toleranz zu erreichen«. Die »Religionsfreiheit und das Erziehungsrecht der Eltern werden dadurch nicht verletzt«. Rechtlich ist verpflichtendem Ethikunterricht also nicht zu beizukommen.
Das weiß auch Pro Reli. Die Bürgerinitiative verlegt sich daher auf soziokulturelle Argumente: Ethik als Zwangsfach missachte vorhandene Unterschiede zwischen den Schülern. Diese würden nur gewürdigt, wenn man sich zwischen wertneutralem Ethikunterricht einerseits, und dem jeweiligen Religionsunterricht andererseits entscheiden könne.
Nein, denn darum geht es gar nicht: Verpflichtender Ethikunterricht strebt danach, »dass sich Schüler auch unterschiedlicher Religionszugehörigkeit und Welt-
anschauung untereinander über Wertfragen austauschen« – findet das Bundesverfassungsgericht.
Wenn die religiöseren Kinder aber jeweils in ihrem eigenen Unterricht sitzen, dann wird es in Berlins 120-Nationen-Gesellschaft an entscheidender Stelle – nämlich in der Schule – daran fehlen, miteinander statt übereinander zu diskutieren. Mit obligatorischem Ethikunterricht werden keine Unterschiede negiert, sondern Gemeinsamkeiten geschaffen. Einzelne Berührungspunkte zwischen den Religionen und Weltanschauungen, wie Pro Reli sie alternativ vorschlägt, sind kaum ein gleichwertiger Ersatz im Kampf gegen Parallelgesellschaften und Fundamentalismus. Pro Reli sagt dazu, der Wahlpflichtbereich Ethik/Religion vermindere die Gefahr von Fundamentalismus. Schüler erführen dort nämlich, dass Religion und Verfassungstreue keine Gegensätze seien. Es ist schwer nachzuvollziehen, weshalb den Schülerinnen und Schülern diese Erkenntnis verschlossen bleiben sollte, wenn sie erst im Ethikunterricht gemeinsam sitzen und miteinander diskutieren (müssen) und anschließend, jede und jeder wie sie oder er mag, in den jeweiligen Religionsunterricht geht. Dass nämlich auch die rot-rote Berliner Landesregierung staatlichen Religionsunterricht keinesfalls abschaffen will, wird von Pro Reli gerne verschwiegen.
Kern des Streits um den verpflichtenden Ethikunterricht ist meines Erachtens neben der Berliner Parteipolitik ein ganz anderer: Religionsgemeinschaften befürchten marginalisiert zu werden. Muss der Staat dagegen einschreiten?
Nein, denn dies hat ihn gar nicht zu interessieren. Das Land Berlin ist nicht Hüter religiöser Interessen sondern will lediglich soziale, religiöse und weltanschauliche Konflikte verhindern und allen Schülern ermöglichen, ihre Gemeinsamkeiten zu entdecken. Foren, die diesem Zweck dienlich sein können, wird man nämlich andernorts oft vergeblich suchen.
Unterschwellige Ost-West-Ressentiments helfen dabei übrigens wenig. Natürlich spielt es auch im ehemals geteilten Berlin eine Rolle, dass der DDR-Staatskommunismus den Religionen so lange nach dem Dasein trachtete, bis diese sich selber willfährig als bloße Kulturvereine verstanden. Aber man darf nicht vergessen, dass zum Beispiel auch die jüdischen Gemeinden Deutschlands bisher noch kein probates Mittel gefunden haben, ihren agnostischen und atheistischen Mitgliedern zu vermitteln, dass es gerade die Religion ist, die uns Juden im Kern zusammenhält.
Kultur ist wichtig, Tora dagegen ewig. Allerdings kann man diese Versäumnisse kaum dem Land Berlin in die Schuhe schieben.

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