Kommt ein Jude zum Fleischer und sagt: ›Ich hätte gern 500 Gramm von diesem Fisch.‹ Die Verkäuferin antwortet: ›Mein Herr, das ist kein Fisch, das ist Schweinefleisch.‹ Der Jude entgegnet: ›Das kann schon sein, aber ich habe ja nicht gefragt, wie der Fisch heißt‹», scherzt Ramon Anusiewicz. Sein weißes T-Shirt leuchtet mit den weißen Tischdecken um die Wette, und die lange blau-weiß gestreifte Schürze hat er vorn mit einer Schleife zugebunden – so steht der Betreiber des Cafés Schoschana im jüdischen Gemeindehaus in Dresden vor seinem Buffet.
koscheres Im Rahmen der Jiddischen Musik- und Theaterwoche hat er gemeinsam mit seiner Frau zum sonntäglichen Brunch geladen. Unterhaltsam referiert er über die 3000 Jahre alte koschere Küche. Er nennt die Grundregel, Milchiges von Fleischigem zu trennen, spricht übers Schächten und erklärt, dass Fische mit Schuppen udn Flossen und Fleisch von wiederkäuenden Paarhufern erlaubt, aber Krustentiere verboten sind. Weiter erläutert er, dass die Kaschrut, die jüdischen Speisegesetze, göttliches Gebot seien, gleichzeitig aber auch hygienische und soziale Funktionen erfüllten. Denn durch die Befolgung der Regeln hätten die Juden als erste monotheistisch gläubige Menschen ihre Gruppe gestärkt.
umwerfend Rund 40 Gäste, überwiegend mittleren Alters, lauschen Ramon Anusiewicz. Im hohen Raum sitzen sie hinter der großen Fensterfront an Einzeltischen oder an einer langen Tafel, die kräftig gelbe Rosen schmücken. Sie haben sich vorher angemeldet und immerhin 14 Euro für ein Frühstück bezahlt. Doch das koschere Buffet aus der Milchküche lohnt sich: Forellenküchlein, Möhrensuppe, Zuccini-Käse-Röllchen, Artischockensalat, Feigen-Dessert in zwei verschiedenen Ausführungen und Rote-Bete-Sülzchen.
«Das Essen ist umwerfend», meint man am Tisch von Waltraud Ussenkopf. Die 70-Jährige reiste zum ersten Mal vor 15 Jahren nach Israel. «Da hat es mich gepackt», erzählt sie und meint die jüdische Kultur. Ihr Tischnachbar, der 42-jährige Uwe Schindler, freut sich: «Hier ist so eine entspannte Atmosphäre.» Er hat von dem koscheren Brunch aus dem Programm zur 13. Jiddischen Musik- und Theaterwoche erfahren und plant mit seiner Frau, noch mehr Veranstaltungen zu besuchen.
Ein paar Plätze weiter sitzt Melin Hampus. Wenn er aufhört zu kauen, offenbart sich ein englisch-deutsches Sprachgemisch mit schwedischem Akzent. Noch am Abend zuvor war er Akteur der jüdischen Festwoche, indem er am Schlagzeug der Band «Partisans & Parasites» sein Bestes gab. Deshalb ist er auch noch ein wenig verschlafen. Doch plötzlich merkt er auf und beginnt zu singen. Inspiriert hat ihn die Stimme von Detlef Hutschenreuter, der auf der anderen Seite des Buffets steht und eine typisch jiddische Weise zu den Keyboard-Klängen von Valeriya Shishkova vorträgt. Wenn sich nur wenige zum Essen drängen, geht er mit seinem glänzenden Sopransaxofon sogar durch die Reihen.
Detlef Hutschenreuter war einst Leiter des Dresdner Rocktheater-Vereins, hat die Jiddische Musik- und Theaterwoche in der sächsischen Landeshauptstadt mitinitiiert und ist erstaunt, wie sich dieses Projekt seit 1997 entwickelt hat: «Manchmal denkt man, es wird doch bald alles schon erzählt sein. Aber es kommen immer wieder neue Menschen.»
Im letzten Jahr kamen 3000 Besucher. Dieses Jahr ist bereits ein Drittel aller Veranstaltungen ausverkauft, und zum Eröffnungskonzert am 22. Oktober wollten rund 100 Gäste mehr hinein, als im Gemeindezentrum Platz finden.
Ursprung Auch Michael Rockstroh, der jetzige Leiter des Rocktheaters Dresden, erinnert sich: «Es hat ganz klein als Liebhaberfest angefangen.» Im Jahre 1996 hatte der Verein «Die Megille» ein Purimspiel zur Musik des israelischen Komponisten Dov Seltzer inszeniert. Das jiddische Musical kam sehr gut an. Mittlerweile muss schon über ein Jahr vorher mit der Planung begonnen werden, denn es gilt, 20 Veranstaltungsorte zu koordinieren. «Sie befinden sich zum einen bewusst in der Innenstadt, um das Stammpublikum zu errei- chen und Neugierige ins Gemeindehaus zu führen, aber auch außerhalb des Zentrums», erklärt Michael Rockstroh. Es wird eng mit dem jüdischen Kulturverein HATIKVA und der Jüdischen Gemeinde zusammengearbeitet. «Die Eröffnung findet traditionell im Gemeindezentrum statt», sagt Rockstroh. Durch eine Mischfinanzierung aus Fördergeldern des Landes Sachsen und der Stadt Dresden, Sponsoring, Spenden und Eintrittsgeldern wird das Festival möglich. Ein Budget von 60.000 Euro stand zur Verfügung.
In diesem Jahr geht es nicht nur um das Jüdischsein, sondern es gibt auch zahlreiche Filme und Gespräche zum Thema «Juden in der DDR». Gespannt ist Rockstroh auf die Lesung Happy Ending (Work in Process). Das Stück stammt aus der Feder von Iddo Netanyahu, dem Bruder des israelischen Ministerpräsidenten, und handelt von einem jüdischen Paar, das im Berlin von 1932 lebt. Die Geschichte wird von israelischen und deutschen Schauspielern gleichzeitig vorbereitet, und Dresden ist eine Etappe in diesem Prozess.