von Leah Schurr
In der Karlsruher Kronenstraße steht ein Gedenkstein der Synagoge, die in der Reichspogromnacht vom Nazi-Mob niedergebrannt wurde. Nicht weit von ihm entfernt erklingen aus dem Gebäude der Arbeiterwohlfahrt Kinderlieder. Eigentlich nichts Besonderes, denn in den Räumen der AWO treffen sich regelmäßig Kindergruppen. Doch, es sind Lieder auf Hebräisch, die da gesungen werden.
Der 25köpfigen Kindergruppe von Gan Israel ist nicht bewußt, an welchem Ort ihr diesjähriges Feriencamp stattfindet. Für Rabbiner Mordechai Mendelson von Chabad Lubawitsch und seine Frau Yehudit, die das Machane leiten, ist es wichtig, den Kindern ein paar fröhliche Ferientage zu ermöglichen. Unterstützt werden sie dabei finanziell auch vom Oberrat der Israeliten in Baden und durch Spenden einiger Banken sowie von Privatleuten.
Zwei Wochen lang sind die Drei- bis Zwölfjährigen mit einem aktionsreichen Programm beschäftigt. Mit viel Geschick rollen flinke kleine Hände Pizzateig aus und belegen ihn mit Tomaten, Gewürzen und Käse. Ein bißchen Mehlstaub im Haar ist kein Problem, denn heute geht es nach dem selbstgemachten Mittagessen sowieso ins Schwimmbad. Dort wird für den Rest des Tages ausgiebig geplanscht. Die Kinder nehmen das Programm dankbar an. Sogar das Wetter spielt mit beim Spaziergang durch den Karlsruher Schloßpark und beim Ausflug in den Zoo. Die Schwestern Dina (20) und Lea Weiser (18) aus Israel helfen ehrenamtlich als Madrichot bei der Kinderbetreuung. Vom ersten Tag an sind die beiden sehr beliebt. Geduldig singen, basteln, kochen und backen sie gemeinsam mit den Kindern: Lea mit den Kleinen und Dina mit den Großen. Heiß begehrt sind die Dollar-Spielgeldscheine, die jeder der größeren Teilnehmer für das gelungene Mitwirken sowie manierliches Benehmen erhält. Das Geld wird gesammelt und wie ein Schatz gehütet, denn den kann man gegen eine Belohnung eintauschen. Die Kleinsten erhalten ersatzweise ein Spielzeug und sehr viel Lob.
Zwischendurch gehen alle gemeinsam auf einen der umliegenden Spielplätze zum Toben. Da wird dem vierjährigen Moshe, der auf die Schaukel klettert, liebevoll Schwung gegeben und gleichzeitig ein kleiner Streit zwischen den größeren Jungen geschlichtet. Lea und Dina sind Profis in Sachen Kinderbetreuung, sie kommen selbst aus einer kinderreichen Familie.
Höhepunkt ist die Fahrt in den Europapark Rust. Im angemieteten Reisebus geht es Richtung Süden. Ein Lied auf Hebräisch wird angestimmt. Sogar der Busfahrer, der kein Wort versteht, läßt sich von der guten Laune mitreißen. Sie verwandelt sich in Begeisterung, als er das zweite Lied hört. »Ihr singt ja auch auf deutsch.« Einige Eltern sind mitgefahren und teilen jetzt die Kinder in kleine Gruppen ein, damit alle die vielen Attraktionen auch nutzen können. Zum Mittagessen treffen sie sich mit Yehudit Mendelson, die Sandwiches vorbereitet hat. »Die schmecken super«, sagt der zwölfjährige Raphael und kaut mit vollen Backen. Den Segensspruch über das Essen hat er nicht vergessen. Inzwischen kann er ihn perfekt, denn am Brachot-und-Mitzwot-Tag wurden sie extra nochmals geübt. »Wichtig ist für uns, daß die Kinder spielerisch an die Werte und Traditionen des Judentums herangeführt werden«, sagt Yehudit Mendelson.
Nach erlebnisreichen 14 Tagen wird zusammen gefeiert. Es herrscht eine festliche Stimmung, es ist Freitag und alle bereiten sich auf den baldigen Schabbat vor. Die Kinder sind aufgeregt, denn zum Abschluß führen sie vor den eingeladenen Eltern und Großeltern ein Theaterstück auf. Wieder ertönen hebräische Lieder aus dem AWO-Gebäude, und dann heißt es Abschied nehmen. Die größeren Kinder tauschen Adressen aus, um in Kontakt zu bleiben.
»Heute brauchst du keine Challot zu backen«, ruft der sechsjährige Gabriel-Elias seiner Mutter stolz zu. Er trägt wie jedes Kind geflochtene Mohnzöpfe in seinen Händen. »Die habe ich ganz allein gemacht!«