von Thorsten Herdickenhoff
Das Altenzentrum der jüdischen Gemeinde in Frankfurt wird gerade umgebaut, damit seine Bewohner besser betreut werden können. Das Zauberwort heißt Kleingruppen, von denen es bereits einige im Haus gibt. Gerade Demenzkranke können von dieser Form der Pflege profitieren.
»Rein, waschen, raus – das funktioniert hier nicht«, sagt Sara Oschütz, die Leiterin des Bereichs Alltagsmanagement. Je zwei dieser Alltagsmanager betreuen eine 13-köpfige Gruppe von Heimbewohnern den ganzen Tag über.
Die Vorteile gegenüber dem Prinzip rein-waschen-raus liegen für Oschütz auf der Hand. Die Menschen leben nicht mehr isoliert, sondern in ihrer Kleingruppe wie in einer Familie. So könne man auf individuelle Besonderheiten reagieren. Außerdem sind kleine Gruppen in der Lage, einige Demenzkranke mitzubetreuen. Die Menschen, die auch nach Muttersprache, kulturellem Hintergrund und gesundheitlichem Zustand zusammengestellt sind, bauen freundschaftliche Bande auf und kümmern sich umeinander.
Zusätzlich wurden drei Pflegeprofile für das Altenzentrum entwickelt, um den Bedürfnissen der Bewohner gerecht zu werden. Das Haus kümmert sich besonders um Demenzkranke, Überlebende der Schoa und die Pflege verschiedener Kulturen – die Bewohner stammen aus elf Ländern. »Diese Pflegeprofile mit der Kleingruppe zu kombinieren, ist das Spannende«, sagt Leo Friedman, der Heimleiter. »Wir sind in der Hinsicht ein Bundesmodell, wegen der Vielfalt der Herausforderungen in unserem Haus.«
Die Alltagsmanager veranstalten mit ihren Gruppen gemeinsame Unternehmungen wie Vorlesen im Kaminzimmer, Basteln mit der Kunsttherapeutin oder zusammen Kartoffeln schälen. »Essen spielt eine sehr wichtige Rolle für die älteren Menschen«, sagt Oschütz. Dementsprechend wurde das Thema Essen in den Alltag eingebaut, je nach den individuellen Bedürfnissen der Menschen. In Kleingruppen kann man flexibel auf sie eingehen. Das Heim achtet auf die Esskultur seiner Bewohner, hat die Essbereiche unterschiedlich gestaltet und bietet den alten Menschen Gerichte aus ihren Heimatregionen an.
Die 174 Bewohner des Heims stammen etwa aus Russland, England, Chile, Israel, Polen und Deutschland. Viele sind Juden – 40 Bewohner waren in Konzentrationslagern, andere wurden während der Nazi-Diktatur versteckt. Das hat die Menschen traumatisiert. Ein hausinterner Psychiater hilft ihnen, mit den grausamen Erlebnissen umzugehen.
Insgesamt sind fünf Religionen vertreten. »Hier wohnen auch Muslime, weil wir koscher kochen«, sagt Oschütz. Es kommt kein Schweinefleisch auf den Tisch. Im Heim wacht ein Maschgiach über die Zubereitung der Speisen, die Küche steht unter der Aufsicht des Rabbinats. Außerdem gehört eine Synagoge zum Heim, in der am Schabbat und den Feiertagen Gottesdienste gefeiert werden. Wer möchte, kann bis ins hohe Alter ein jüdisches Leben führen, dafür trägt das Heim Sorge. »Und wer seinen Schinken essen will, darf das gerne auf seinem Zimmer tun«, sagt Heimleiter Friedman schmunzelnd.
Das Heim ist in einem hellen und klar strukturierten Neubau untergebracht, der in einem ruhigen Wohnviertel des Stadtteils Bornheim steht. Zur Innenstadt ist es nicht weit und die Verkehrsanbindung gut. Von hier fahren Busse, Trams und U-Bahnen in alle Ecken Frankfurts. Das schätzen die Angehörigen, die zu Besuch kommen.
Viele der Bewohner sind erst im Alter nach Deutschland gekommen und mussten für ihre letzten Jahre im jüdischen Altenzentrum noch einmal umziehen. Diese Veränderungen belasten die Menschen zusätzlich, doch der Umbau des Heims soll auch hier helfen. »Das Kleingruppenmodell mildert auch die seelischen Folgen der Migration im Alter«, sagt Friedman. »Wir haben einfach mehr Zeit für die Menschen.« Er ist stolz auf die besondere Betreuungsform in seinem Haus. »Hier wird die Wohnform von morgen schon heute gelebt.«
Neue Konzepte für die Altenpflege machen die letzten Lebensjahre deutlich angenehmer, kosten aber Geld. Und diese Kosten übernehmen nicht die Pflegekassen. »Gerade das Bedürfnis nach Nähe und Beistand bei Demenzkranken wird nicht von den Kassen bezahlt«, sagt Friedman. Viele der Zusatzangebote, die seine Einrichtung den Bewohnern zugutekommen lässt, werden von der Stadt Frankfurt bezahlt oder unterstützt.
Seit 2001 hilft Frankfurt Altenheimen, die neue Wege gehen und vor allem Patienten mit degenerativen Erkrankungen des Gehirns angemessen pflegen. Eine Bilanz der eigenen Arbeit zogen Stadt und Pflegeheime am 19. Februar zur Feier ihrer jahrelangen engen Zusammenarbeit. Seit 30 Jahren treffen sich die Heimleiter und tauschen sich über ihre Nöte, Erfahrungen und Ideen aus. Die aktuelle Herausforderung ist das hohe Alter ihrer Klienten, deren Gebrechlichkeit und geistige Verfassung. Heute leiden deutlich mehr Menschen an der Beieinträchtigung ihrer erkennenden, emotionalen und sozialen Fähigkeiten. Dank des städtischen Programms »Würde im Alter« hat sich ihre Betreuung in Frankfurt spürbar verbessert, sagen die Heimleiter.
Das Programm stellt jedes Jahr drei Millionen Euro bereit, um die sich die Pflegeheime bewerben müssen. Zurzeit erhalten 27 Heime Projektmittel. Sie schulen damit etwa ihre Mitarbeiter, damit sie sich sensibler mit den besonderen Bedürfnisse dementer Menschen vertraut machen.
Haustiere können ebenfalls aus den Mitteln bezahlt werden, etwa Zierfische und Vögel. Dieses Angebot nutzt auch das jüdische Altenzentrum. »Einer unserer Bewohner hat nicht mehr gegessen«, erzählt Sara Oschütz. Er habe es sehr schwer gehabt in seinem über 90-jährigen Leben. Dank der Vögel hat er wieder Nahrung zu sich genommen.