von Clemens Hoffmann
Die Brandstifter müssen sich sehr sicher gefühlt haben. Die Simcha-Schule von Chabad Lubawitsch in Kiew liegt mitten in einem dicht besiedelten Wohngebiet. Der zweistöckige Flachbau, den 600 Schüler besuchen, ist von Hochhäusern umgeben und gut einsehbar. Trotzdem legten am Mittwoch vergangener Woche Unbekannte Feuer an einem der Notausgänge der Schule. Von der Tür sind nur noch das Schloss und ein paar verkohlte Holzstücke übrig. Im Treppenhaus ist durch die starke Hitze der Putz von der Wand geplatzt, in den angrenzenden Räumen hat sich klebriger Ruß auf Wände, Fensterscheiben und Fußböden gelegt.
»Zum Glück waren Herbstferien«, sagt Rabbiner Mordechai Levenhartz, der Rektor der Schule. Deshalb hätten sich nur einige Lehrer in dem Gebäude aufgehalten. Sie haben sich gerade noch rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Und die Feuerwehr konnte das Übergreifen der Flammen auf die Klassenzimmer verhindern, so dass der Unterricht bald weitergehen kann.
Über die Täter gibt es nur Spekulationen: Augenzeugen wollen gesehen haben, wie Teenager vom Schulhof rannten. Der ist zwar eingezäunt, und es gibt auch einen Wachmann am Eingang, aber der Zaun ist leicht zu überwinden.
Für Schulleiter Levenhartz ist klar, dass es ein antisemitischer Anschlag war. Es habe Warnzeichen gegeben: »Erst vor Kurzem flog ein Stein durchs Fenster. Daran war eine Nachricht befestigt: ›Die Juden sollen sterben.‹« Und an den Wänden des Chabad-Kindergartens fanden sich schon vor Wochen Hakenkreuz-Schmierereien und ein Davidstern an einem Galgen.
Für Rabbiner Levenhartz’ ist der Brandanschlag auf die Kiewer Schule der jüngste in einer ganzen Reihe von antisemitischen Vorfällen in den vergangenen Wo- chen. Anfang Oktober wurde das Haus eines Rabbiners in der westukrainischen Stadt Ushgorod verwüstet und in Brand gesetzt. Wenige Tage zuvor waren in Shitomir, Sewastopol und Cherkassy Rabbiner auf offener Straße verprügelt worden. Auch aus anderen Städten wurden Angriffe gemeldet – meist jedoch nur in jüdischen Medien. Ukrainische Zeitungen und Rundfunkstationen berichten kaum über die Vorfälle. Selbst der Brand in der Kiewer Schule wurde nicht aufgegriffen.
Auch die Regierung reagiert schwerfällig: Erst auf massiven Druck jüdischer Organisationen verurteilte Präsident Juschtschenko vor Kurzem »jede Form rassischer oder ethnischer Feindseligkeit« in seinem Land. Er beauftragte die Sicherheitsorgane, all jene aufzuspüren und zu verfolgen, die »Instabilität und Chaos« in der Ukraine verursachen. Die These, dass ausländische Hintermänner – und nicht ukrainische Neonazis – hinter den Gewalttaten stecken, genießt in der ukrainischen Öffentlichkeit Popularität. Ebenso beliebt, nicht nur bei Politikern, ist das Verharmlosen. So versuchte die Polizei in Ushgorod, den Brand als gewöhnlichen Einbruchsdiebstahl darzustellen.
Immerhin: Der Präsident hat inzwischen die Gründung einer Spezialeinheit des Geheimdienstes angekündigt, die ausländerfeindliche Gewalt, rassistische Übergriffe und aus religiösem Haß motivierte Straftaten bekämpfen soll. Für den Präsidenten der Jüdischen Konföderation der Ukraine, Rabbiner Don Bleich, ist das nur ein Anfang. »Die Regierung muss endlich erkennen, dass der Antisemitismus in der ukrainischen Gesellschaft wächst und ein Prob- lem ist. Die Regierung muss den Kampf dagegen aufnehmen«, fordert er. Präsident Juschtschenko wird mit dem Thema schon sehr bald erneut konfrontiert werden: Mitte November ist er zu Besuch in Israel.
Rabbiner Levenhartz von der Simcha-Schule will sich von dem Brandanschlag nicht einschüchtern lassen. In den kommenden Tagen will er mit der Gemeinde über verstärkte Sicherheitsmaßnahmen beraten: »Wir müssen uns besser schützen.«