von Johannes Boie
Zwei Dinge sind klar: Es gibt viel zu tun. Und niemand weiß wirklich wie. Die Gründung des »Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus« der Berliner Gemeinde am Mittwoch vergangener Woche war von der Ratlosigkeit seiner Ehrengäste geprägt. Dabei ist die Situation dramatisch: Antisemitismus grassiert – nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Die Schwierigkeit der Bekämpfung bestehe darin, dass man Antisemitismus empirisch dokumentieren, aber seine anhaltende Entstehung kaum erklären kann, sagte Yves Pallade von B’nai B’rith Europe.
Warum jetzt ausgerechnet von jüdischer Seite gegen die Bedrohung ge-
kämpft werden soll, erklärte die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Lala Süsskind: Als deutscher Bürger sei man ohnehin verpflichtet, gegen das Phänomen anzugehen, als Jude überdies besonders sensibilisiert. Wie der Kampf allerdings genau aussehen soll, erläuterte Süsskind nicht. Die Ziele des Forums, das die Gemeindechefin sich als »Gremium aus Experten« vorstellt, seien – ebenso wie deren Umsetzungen – noch offen. Auf jeden Fall wünsche sie sich eine aktive Mitarbeit und forderte die Anwesenden zum Beitritt und Engagement auf.
Zu den Aufgaben des Forums, so ist es in einer Information zu lesen, soll die Organisation von Vortragsreihen, Work-shops, Konferenzen, die Herausgabe von öffentlichen Stellungnahmen und Publikationen sowie der Aufbau eines Online-Informationsportals gehören.
Engagement wird nötig sein. Das machten die Grußworte der anwesenden Politiker und der Vortrag von Yves Pallade deutlich. Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Petra Pau, ging kurz auf die Schändung des Jüdischen Friedhofes in Weißensee ein, die am Vortag bekannt ge-
worden war. Eine judenfeindliche Tat, die sich dann auch gleich noch einmal wiederholte.
Pau forderte einen jährlichen Antisemitismus-Bericht der Bundesregierung. Leider sei dieses Vorhaben im Parlament noch nicht mehrheitsfähig, aber immerhin arbeite man bei diesem Thema zwischenzeitlich fraktionsübergreifend zusammen. Dies begrüßte auch der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion, Volker Beck. Er erwähnte explizit auch den islamischen Antisemitismus, der sich im Zuge der Einwanderung in Deutschland ausgebreitet habe. Dieser solle ein Thema der Islamkonferenz des In-
nenministers werden, forderte Beck. Politikwissenschaftler Yves Pallade kritisierte, dass es bislang nur eine einzige Untersuchung zu antisemitischen Tendenzen im deutsch-islamischen Milieu gegeben habe. Obwohl die Ergebnisse erschreckend gewesen seien, habe es keine weitere Forschung gegeben. Der OSZE-Berater und SPD-Bundestagsabgeordnete Gert Weisskirchen sagte, die Legislative in Großbritannien sei bereits weiter, dort habe man eine parlamentsweite Gruppe gegen Antisemitismus gegründet. Ansonsten aber konnte auch Weisskirchen keine Entwarnung geben: »Ungefähr 15 Prozent der Bevölkerung in allen 56 OSZE-Mitgliedstaaten ist antisemitisch eingestellt«, er-
läuterte er.
Die Zahlen sind umso erschreckender, als es keine schlüssige Erklärung für sie gibt. Diesem Problem hatte auch Yves Pallade in seiner scharfsinnigen Rede nichts entgegenzusetzen. Er fasste all die antisemitischen Ausfälle der vergangenen Jahre zusammen, die ihren Weg in die Öffentlichkeit und teilweise sogar Zuspruch ge-
funden haben: Von der vermeintlichen »Brandrede« des Schriftstellers Martin Walser in Frankfurt sprach Pallade, von dem Ex-CDU-Mann Hohmann, der den Begriff des »Tätervolkes« neu definieren wollte, von Hajo Meyer, dem Holocaust-Überlebenden, der die Verhältnisse in den besetzten Gebieten mit denen der Juden im Deutschland der 30er-Jahre verglichen haben soll. Auch die antisemitischen Ausfälle des harsch kritisierten Mitarbeiters der Bundeszentrale für politische Bildung, Ludwig Watzal, und die des Grünhelm-Chefs Rupert Neudeck benannte Pallade.
Außerdem machte er deutlich, dass es zwischen deutschem Rechtsradikalismus und den antiisraelischen Plänen des Iran enge Verbindungen gibt. »Sowohl die Deutschen als auch die Palästinenser führen einen Befreiungskampf gegen Juden«, beschrieb Pallade ein gängiges rechtsradikales Ressentiment.
Der Redner nahm keine Rücksicht auf die Anwesenden. Er kritisierte dabei unter anderem Paus Kollegen, den Linke-Bun-
destagesabgeordneten Norman Paech, für verschiedene einseitig israelfeindlichen Bemerkungen und seine antisemitisch aufgeladene Kapitalismuskritik. Tatsächlich waren die anwesenden Politiker betroffen: »Wir leiden unter Möllemann bis heute«, sagte Helmut Königshaus von der FDP. Er nannte die Bilanz der Politik im Kampf gegen Antisemitismus und die Tatsache, dass sich eine jüdische Gemeinde verpflichtet fühlen muss, selber tätig zu werden, »beschämend«.