Dass in den Werken des aus Wien stammenden jüdischen Kabarettisten, Komponisten und Autors Georg Kreisler stets ein Hauch von Todesverfallenheit durchschimmert, ist seit Langem bekannt. In zahlreichen bitterbösen, gleichwohl von heiterer Klaviermusik begleiteten Chansons hat der Kabarettist sich immer wieder auch über den Tod Gedanken gemacht. Sei es in seinem legendären Lied Der Tod, das muss ein Wiener sein oder in dem weniger bekannten Sport ist gesund, in dem etliche Todesursachen mit bissigem Witz Erwähnung finden. Waren Kreislers Stücke bisher jedoch von jenem morbiden Humor geprägt, mit dem er jetzt schon seit mehr als einem halben Jahrhundert einer breiten Öffentlichkeit bekannt ist, zeigt sich der Altmeister der Ironie und Satire in seiner Autobiografie Letzte Lieder nun von einer unmaskiert ernsthaften Seite. So schonungslos privat wie hier hat der mittlerweile 87-Jährige noch nie – auch nicht in seiner ersten Autobiografie Die alten bösen Lieder – von sich und seiner Einstellung zum Tod erzählt. Er beschönigt nichts und erteilt letzten Wünschen und Erwartungen an das eigene Leben radikal eine Absage. Selten hat man ein derart existenzielles Lebensfazit gelesen. Frei von jeder Selbststilisierung ist sein Erinnerungsbuch nicht weniger als ein gewaltiger Paukenschlag.
melancholie »Auch ich bin aufgeräumt und erwarte meine Explosion, und je mehr ich versuche, Bilanz zu ziehen, umso deutlicher erkenne ich, dass es keine Bilanz gibt«, heißt es am Ende der Autobiografie. Damit befindet sich Kreisler in der österreichischen Literatur, die wie keine zweite gegen Krankheit und Tod anschreibt, in bester Gesellschaft. Am Ende, notierte die 1921 geborene jüdische Schriftstellerin Ilse Aichinger unlängst in ihrem Buch Subtexte, »steht naturgemäß nicht der Sinn, sondern das Bestattungsinstitut Perikles«. Thomas Bernhard bestimmte die Menschheit gar als »eine in die Milliarden gehende ungeheure auf die fünf Kontinente verteilte Sterbensgemeinschaft«. Ja, sagt Kreisler an einem kalten und düsteren Novemberabend in Gelsenkirchen, nachdem er aus seiner Autobiografie gelesen hat. An den Worten Aichingers und Bernhards sei viel Wahres. Er habe mehr als vierzig Jahre lang jedes Jahr mindestens eine Tournee absolviert, da erlebe man viel, was in eine Biografie gehöre. »Aber ich habe alles vergessen, alle Anekdoten, alle Missverständnisse, alle Publikumsreaktionen«, zitiert er aus seinem Buch. »Das hat alles stattgefunden und hat nicht stattgefunden, es ging an mir vorüber, es war nicht mein Leben.« Er könne, sagt er so beiläufig wie andere ein Bier bestellen, auch dem Philosophen Schopenhauer zustimmen: Das Leben sei tatsächlich wie ein Roman, den man vor langer Zeit gelesen habe, an dessen Handlung man sich aber nicht mehr erinnern könne.
rückblick Es ist ein großes Glück für den Leser, dass Kreisler sich dann doch noch an so manches in seinem Leben erinnern konnte und davon in seinem Buch erzählt. In ein wohlhabendes Elternhaus hineingeboren, beginnt er nach dem Besuch des Gymnasiums ein Musikstudium am Wiener Konservatorium mit dem Berufsziel Dirigent. Nach dem »Anschluss« Österreichs 1938 können er und seine Eltern gerade noch rechtzeitig in die USA emigrieren. Kreislers Cousin Walter Reisch, ein erfolgreicher Drehbuchstar in Hollywood, hatte für die Familie gebürgt. Die Verfolgung der Juden, die unmittelbar nach dem »Anschluss« 1938 auch in Wien einsetzt, prägt Kreisler bis heute. Seine Skepsis gegenüber den Österreichern ist unauflöslich mit den Szenen kurz vor seiner Emigration verbunden, als Wiener Juden, von Hunderten amüsierten Schaulustigen umringt, kniend Parolen mit Wurzelbürsten von der Straße schrubben müssen. In Los Angeles setzt Kreisler seine Musikstudien fort und dient von 1942 bis 1945 in der amerikanischen Armee als Dolmetscher in Europa. Nach Kriegsende arbeitet er in Hollywood, unter anderem als musikalischer Berater für Charlie Chaplin. 1951 hat er seine ersten Auftritte als Chansonnier und schreibt Beiträge für Funk, Fernsehen und Broadwayshows. Mit seinem Sarkasmus und schwarzen Humor, der für seine spätere Karriere charakteris-tisch werden sollte, stößt Kreisler jedoch bei den Amerikanern auf wenig Gegenliebe. Erste Erfolge feiert er erst nach seiner Rückkehr nach Wien im Jahr 1955, als er seine skurrilen Reime mit dem durch die Nazis weitgehend ausgerotteten Wiener jüdischen Kabarett verbindet. Immer wieder macht Kreisler seine Geburtsstadt zur Zielscheibe seines beißenden Spotts (Wie schön wäre Wien ohne Wiener!), womit er auch leidenschaftliche Ablehnung hervorruft. Der Rest ist bekannt: Mit Texten wie Tauben vergiften im Park und Gelsenkirchen wird Kreisler auch weit über die Grenzen Österreichs hinaus berühmt. Doch schon seit Jahren singt er seine Lieder und Chansons nicht mehr. Und so sind auch an dem Abend in Gelsenkirchen nicht die Zeilen über die rußverschmierte Stadt zu hören, die dort einst für heftige Empörung sorgten.
sprachlos An einer Stelle seines Buches zitiert Kreisler den österreichischen Philosophen Ludwig Wittgenstein, auch er Jude: Angesichts der Komplexität des Lebens versage die Sprache. Nein, möchte man ihm hinterherrufen, als der Künstler mit langsamen Schritten die Bühne verlässt. Es ist zwar richtig, oft schafft unsere Sprache es nicht, der Fülle des Erlebten gerecht zu werden. Doch Kreisler ist es gelungen. Er hat mit seinen Letzten Liedern ein großartiges, wenn auch sehr trauriges Buch der Erinnerung verfasst.