von Sabine Brandes
Die frühmorgendlichen Nebelschwaden haben sich kaum verzogen, und einige schleppen bereits prall gefüllte Taschen und Tüten davon. Die Ersten sind schon vor zwei Stunden gekommen, obwohl es gerade erst neun Uhr geschlagen hat. »Wer wirklich gute Sachen finden will, der muss früh aufstehen«, weiß Noga Aviel. Die Studentin ist Veteranin in Sachen Flohmarkt. Hier, auf dem Schuk HaPischpeschim in Jaffa, dem alten Teil Tel Avivs, tummeln sich jeden Freitagmorgen die Schnäppchenjäger. Und jede Woche werden es mehr.
Seit Aviel vor fünf Jahren mit ihrem Studium begann und in die erste eigene Wohnung zog, kauft sie fast ausschließlich Dinge, die schon einmal anderen gehörten. Damit ist sie nicht allein. Immer mehr Israelis finden es normal, ja sogar schick, auf die Suche nach lohnenswerten Sachen aus zweiter Hand zu gehen.
Zum Teil sei es Leidenschaft, hauptsächlich aber ginge es um die nackte Notwendigkeit, Geld zu sparen. »Das Leben in Israel, vor allem hier in Tel Aviv, ist wahnsinnig teuer«, sagt Aviel, »besonders für uns Studenten. Wer keine reichen Eltern hat, der muss einfach auf den Schekel schauen«. Es gebe kaum etwas, das sie nicht vom Flohmarkt oder in Second-hand-Läden kaufen würde, gibt sie unumwunden zu. Aviel ist nach dem neuesten Trend gekleidet, ihre Wohnung, erzählt sie, werde von anderen stets bewundert. Es sei ein fröhlicher Mix aus Flohmarkt und Ikea. »Und sogar die Ikea-Möbel sind für einen Bruchteil des Preises gebraucht gekauft.«
Noch vor wenigen Jahren raunte der Großteil der Bevölkerung beim Wort Flohmarkt leise »igitt«. Man konnte hier vielleicht ein Schmuckstück aus Großmutters Zeiten erstehen, aber Schuhe, Kleidung oder Möbel waren für die meisten tabu. Nur neu galt als modern. Das hat sich geändert. Verstaubt war gestern, für manche gelten die Sachen aus vergangener Zeit heute als absolutes Must-Have. Miki Biton ist Innenausstatterin und schwört auf Gebrauchtes. »Dinge, die schon viele Jahre auf dem Buckel haben, haben eine eigene Geschichte und meist mehr Charakter. Oft sind es besondere Hingucker, die einem Zuhause den letzten Schliff geben.« Um für ihre ausschließlich sehr wohlhabenden Kunden derartige Schätzchen aufzutun, stöbert Biton auf sämtlichen Flohmärkten des Landes. Die besten Sachen habe sie sogar am Straßenrand gefunden. Müll, von anderen ausrangiert und weggeworfen. Nach etwas Aufpolieren glänzten die Stü-cke in ganz neuem Licht.
Auch die Website »Jad Schnia«, die israelische Variante der »Zweiten Hand«, brummt. Ob Elektrogeräte, Mietwohnungen oder Babyzubehör – hier findet man fast alles, was der Mensch im Laufe seines Lebens so braucht. Studentin Noga kennt sie bestens. Abgesehen vom Sparzwang sei das Secondhand-Shoppen eine bewuss-
te Entscheidung pro Umwelt. »Wir produzieren so viel Abfall, dass wir fast daran ersticken. Wer aber Dinge kauft, die sonst auf dem Müll landen würden, tut etwas für ein bewusstes Umgehen mit unserem Lebensraum«, macht sie deutlich.
Nach diesem Prinzip funktioniert der Laden in Kiriat Tivon mit dem Namen »Zweiter Gedanke«. Für die meisten Käufer zählt hier die Lebenseinstellung fast mehr als die Größe des Portemonnaies.
Wer Tel Aviv kennt, weiß, dass die Schenkin-Straße von Jungen und Schönen bevölkert wird. Wer wirklich hip sein will, schlendert von einer Boutique zur nächs-ten, lässt sich regelmäßig in den Cafés und Bars blicken oder zieht ganz in eine der Wohnungen über den Geschäften. Zwar sind die Mieten himmelschreiend überteuert, doch wird der In-Faktor mit der Adresse gleich mitgeliefert.
Auch vor dieser Straße hat die Second-hand-Welle nicht Halt gemacht. Ein Geschäft der besonderen Art befindet sich im Haus mit der Nummer 38. »Schtaim« –»Zwei« lautet der schlichte Name der Boutique von Monica Adler und Daniela Lebensart. Das Konzept: Gebrauchtes mit dem gewissen Etwas zu moderatem Preis an junge, moderne Leute verkaufen. Es geht auf.
In den Regalen werden übergroße Sonnenbrillen angeboten, der Hit dieser Saison, auf den Kleiderstangen hängen T-Shirts, Hosen, Röcke, Jacken und alles, was man sonst noch tragen kann, zum erschwinglichen Kurs. Ein Shirt ist ab umgerechnet fünf Euro zu haben, ein Kleid ab 15. Neben dem modischen spielt der ökologische Faktor eine Rolle. Aus Kleidung, die als solche nicht mehr zu verkaufen ist, werden Taschen, Schminketuis und Geldbörsen hergestellt.
Hinter der Ladentheke steht Orit Shapira. Selbst nach dem letzten Schrei gekleidet, berät sie weibliche und männliche Kunden in Sachen Mode aus zweiter Hand gleichermaßen. Seit zwei Jahren arbeitet die ausgebildete Kostümdesignerin im »Schtaim« und hat Spaß daran: »Es ist toll zu sehen, wie Altes zu neuem Leben kommt.« An einem Ständer hängen besondere Modelle: alte Kleider, die von jungen israelischen Designern zu modischen Highlights umgearbeitet worden sind. Für etwa 35 bis 45 Euro kann man sich in ein Designerstück kleiden – jedes einzelne ein Unikat. »Aus ehemals unattraktiven Kleidern werden so wahre Schmuckstücke«, findet Orit, »Secondhand als echte Cinderella-Story«.