Benny Ziffer, Literaturchef der linksliberalen israelischen Tageszeitung Haaretz, hält wenig von der neuen hebräischen Literatur. Seit Schmuel Yosef Agnon und S. Yizhar habe Israel keinen großen Schriftsteller mehr hervorgebracht, meint der 56-Jährige. Jedenfalls gemessen am internationalen Standard, der auch der Ziffers ist. Als Sohn einer jüdisch-türkischen Mutter und eines Vaters, der in Wien geboren wurde, studierte Ziffer französische Literatur und lernte Deutsch am Goethe-Institut. Nein, so einflussreich wie Marcel Reich-Ranicki sei er nicht, sagt Ziffer, geschmeichelt von der Frage. Nur in einem kultivierten Land wie Deutschland schätze man Literaturkritiker.
Ziffer hat eine schöne Stimme, sanft und langsam. Schwul oder nicht schwul? Die Frage drängt sich auf vor dem Hintergrund seines Romans Ziffer und die Seinen. Das Buch erschien im Frühjahr auf Deutsch im einschlägigen Hamburger Verlag »Männerschwarm«. Jetzt stellte es Benny Ziffer in Berlin vor. Der Held des Buchs heißt wie sein Autor Ziffer, ist Schriftsteller und führt mit seinem Freund Jo eine zermürbende Männerbeziehung in Tel Aviv und Berlin. Der semi-erfolgreiche Autor Ziffer, ein sexsüchtiger Chauvi, behandelt seinen Partner Jo wie einen Sklaven, pinkelt mit Wonne neben das Klo und ist ständig auf der Suche nach versauten One-Night-Stands.
alter ego Die Rede ist wohlgemerkt vom Romanhelden. Der richtige Benny Ziffer ist ein höflicher, zuvorkommender Israeli – etwas, das man im realen Leben nur selten findet. Auf der Nase trägt er eine exzentrische Kunststoffbrille in einem undefinierbaren Gelbton. Lang und schlaksig, mit sehr kurzen, grauen Haaren, wirkt er in Jeans und blauweiß kariertem Hemd ausgesprochen feminin. Also doch schwul?
»Ziffer – das bin vielleicht ich«, sagt Benny Ziffer kokett. In seinem Buch, dem zweiten von insgesamt drei veröffentlichten Romanen, beschreibt er die Schwulen-szene am Nollendorfplatz detail- und offenbar kenntnisreich. In Wirklichkeit lebt er mit Frau und drei Kindern in Raanana, einem Vorort von Tel Aviv. Was ist er nun: Hetero oder Homo? Darf man einen Interviewpartner nach seiner sexuellen Präferenz fragen? Benny Ziffer hat da kein Problem. »Alles liegt hinter tausendundeiner Maske, aber diese Masken sind sehr durchsichtig«, sagt er.
boykott Als Ziffer und die Seinen 1999 in Israel erschien, wurde es von der Vereinigung der Schwulen und Lesben boykottiert, erzählt der Autor fast mit Stolz. Der Verband habe Anstoß daran genommen, dass die Männerbeziehung so negativ dargestellt wird. Im Interview gießt Ziffer genüsslich noch mehr Öl ins Feuer. »Die Homosexualität ist wie ein toter Stamm, der keine Wurzeln und keine Äste hat. Er kann nicht in der kommenden Generation weiterbestehen.« Schwule, besonders die in Israel, sagt Ziffer, seien so sexgeil, dass eine Zweierbeziehung nie funktionieren könne – und viele Schwule wären am liebsten gar nicht schwul: »Die Homosexualität erscheint stets als Last und nie als Sache, die gut und fröhlich ist.«
eheleben Dass Israels Schwule und Lesben auf Benny Ziffer schlecht zu sprechen sind, erstaunt da kaum. Der Literaturkritiker macht sich als Buchheld zum Anwalt der Homosexuellen, führt selbst aber mit Familie und Kindern ein Leben, das vordergründig der Norm entspricht. Wusste seine Frau Irit eigentlich schon immer von Ziffers Schwäche für das eigene Geschlecht? »Vielleicht hat sie es gewusst. Aber sie hat immer gewartet, dass ich es ihr sage. Ehrlich gesagt, ich wusste es selbst nicht. Aber die Beziehung zwischen uns ist sehr, sehr stark. Dennoch gab es albtraumhafte Jahre, in denen ich riesige Schuldgefühle hatte. Was mich erlöst hat, war das Schreiben.«
Hat es nie einen Mann gegeben, mit dem er zusammenleben wollte? Ziffer wiegelt ab: »Natürlich gibt es Verliebtheit. Ich hatte Fälle, in denen ich jahrelang verliebt war. Aber das funktioniert einfach nicht! Man muss jemanden Dritten hassen, gegen den man sich verbündet. Denn es gibt nichts, das eine solche Verbindung von innen zusammenhält.«
be berlin Ziffer und die Seinen entstand im Winter 1997/98 am Berliner Wannsee, wo Ziffer Stipendiat des Literarischen Colloqiums war. Der Autor liebt die deutsche Hauptstadt. In seinem Online-Blog auf der Website von Haaretz schrieb er einmal: »Lasst mich in Ruhe mit Jerusalem – meine ewige Haupstadt ist Berlin!« Momentan arbeitet Benny Ziffer an seinem vierten Buch, erzählt er zum Schluss: »Hoffentlich geht es darin nicht um Schwule. Ich gehe mir schon selbst auf die Nerven.«