von Kathrin Hessling
Hannah Arendt schrieb im Dezember 1941 im amerikanischen Exil, dass man vor Antisemitismus wohl nur noch auf dem Monde sicher sei. Angelehnt an das berühmte Zitat der jüdischen Philosophin hat die Evangelische Kirche im Rheinland jetzt im Rahmen der Landessynode in Bad Neuenahr eine Broschüre vorgelegt: »Ist man vor Antisemitismus nur noch auf dem Monde sicher?« Zur Zeit wird sie an knapp 800 rheinische Gemeinden verschickt und soll als Arbeitshilfe für den Gemeinde- und Schulalltag dienen.
Haben die Juden eine besondere Beziehung zum Geld? Und haben sie nicht Jesus umgebracht? Und was soll eigentlich ein »falscher Jakob« sein? Mit den Ursprüngen solcher Klischees und Vorurteile setzt sich die Broschüre auseinander und bietet somit Argumentationshilfen im Kampf gegen Judenfeindlichkeit. Denn die, so Präses Nikolaus Schneider bei der Vorstellung des knapp 60-seitigen Heftes, wachse weltweit wieder in bedrohlichem Ausmaß. Auch in Deutschland seien Hemmschwellen gesunken: Anders als noch vor einigen Jahren würden Schmähbriefe bis hin zu Morddrohungen inzwischen nicht mehr anonym zugestellt, sondern ganz offen mit Absender. Man traut sich wieder mehr, und für diese Art »neuen« wie für den »alten«, offenen wie verdeckten Antisemitismus nennt die Broschüre viele Beispiele: Seien es die Äußerungen des iranischen Staatspräsidenten Ahmadinedschad, Wagner-Opern oder Sätze wie der von Rudolf Augstein, der im Spiegel über das Holocaust-Mahnmal schrieb: »Man wird aber nicht wagen, ... mit Rücksicht auf die New Yorker Presse und die Haifische im Anwaltsgewand, die Mitte Berlins freizuhalten von einer solchen Monstrosität.« Auch verdeutlicht die Arbeitshilfe, wie erschreckend beiläufig Judenfeindlichkeit im Alltag auftritt. Ein Bürgermeister, so ein Beispiel, machte sich trotz klammer Kassen keine Sorgen um die Restaurierung der Synagoge – die Gremien würden sicher zustimmen: »Gegen Juden wird man schon nichts sagen.«
Einen hohen Stellenwert nimmt im Heft der Nahost-Konflikt ein – ein ständiger Anlass für Antisemitismus. »Wir müssen lernen, mit dem Staat Israel und dem Judentum so umzugehen, dass Kritik an der Politik Israels nicht auf antisemitische Klischees zurückgreift«, mahnte Schneider. Die Broschüre geht auf diesen Unterschied sehr genau ein. So wird darauf aufmerksam gemacht, dass Juden hierzulande immer wieder auf die Politik Israels angesprochen oder sogar zu Israelis gemacht werden. Vor Jahren habe ein Abgeordneter zum Beispiel nach einer Rede des israelischen Präsidenten Ezer Weizmann vor dem Bundestag zu Ignaz Bubis gesagt: »Ihr Präsident hat heute eine wunderbare Rede gehalten!« Bubis’ Antwort: »Ist das so? Ich wusste gar nicht, dass Roman Herzog heute vor dem Bundestag eine Rede gehalten hat.«
Das eigene Denken, Reden und Handeln kritisch zu überprüfen und couragiert gegen Antisemitismus einzutreten – dazu regt die Broschüre nachhaltig an. Zudem bietet sie Impulse für Begegnungen und Dialog, zum Beispiel zwischen Schulklassen und jüdischen Gemeinden. Ergänzt wird sie durch einen historischen Abriss, ein Glossar zu judenfeindlichen Klischees, eine »Check-Liste« für die Arbeit an Schulen sowie Literaturtipps und Internet-Adressen. Interessierte können sich die Broschüre im Landeskirchenamt der rheinischen Kirche per E-Mail bestellen, bei wilfried.neusel@ekir-lka.de. Im Internet steht das Heft unter www.ekir.de als Download zur Verfügung.