Schweiz schwört
Eidgenössische Nazis marschieren am Nationalfeiertag
Von Peter Bollag
Die kürzlich zu Ende gegangene Fußball-WM war auch in der Schweiz – zumindest bis zur Pleite im Elfmeterschießen in Köln – eine Zeit des gut sichtbaren Patriotismus. Zehntausende von Schweizer Flaggen mit dem charakteristischen weißen Kreuz im roten Feld flatterten auf Balkonen und als Wimpel in Autos. So etwas gibt es sonst nur in den Wochen vor dem 1. August, dem Schweizer Nationalfeiertag.
Seit einigen Jahren kennt das Land zu dieser Jahreszeit aber auch ein weiteres, weit weniger harmloses und ziemlich unsympathisches Phänomen: die Auftritte von pöbelnden und grölenden Rechtsradikalen an der »Wiege« der Urschweiz: Gemeint ist die Rütli-Wiese unweit von Luzern. Dort haben nach Meinung eines Zweiges der Schweizer Geschichtsforscher 1291 die »Gründungsväter« Helvetiens ihren Eid gegen die habsburgischen Besatzer geschworen.
Logisch deshalb, daß ein staatsbürgerlicher Verein dort jedes Jahr eine 1. August-Feier durchführt: meist ist es ein Bundesrat, ein Mitglied der Schweizer Regie-
rung, der dort mehr oder weniger patriotische Gedankengänge zum Besten gibt, umrahmt von folkloristischem Alphorn-Geblase sowie vaterländischen Chören.
Weniger logisch eigentlich, daß sich die »unheimlichen Patrioten«, wie sie auch gerne genannt werden, an diesem mythischen Ort versammeln. Vermutlich realisieren nur wenige von ihnen, daß das Rütli eigentlich »antifaschistisches Gelände« ist. Nach der Niederlage Frankreichs 1940 gegen Nazi-Deutschland versammelte dort die Schweizer Symbolfigur des Widerstandes gegen Hitler, General Henri Dunant, nämlich seine Generäle für den berühmten »Rütli-Rapport«, eine Art Durchhalteparole gegen die drohenden Diktaturen im Norden und Süden. Die Schweizer Rechten hinderte das aber nicht daran, sich ab 2000 in ständig wachsender Zahl Jahr für Jahr dort zu versammeln. Und parallel dazu, den übrigen Anwesenden ihre steigende Bedeutung zu demonstrieren: Letzteres geschah dadurch, daß sie die jeweiligen Redner ausbuhten oder niederschrien. Im letzten Jahr waren es bereits 700 Rechte unter insgesamt etwa 2.000 Besuchern.
Weil es auch 2005 nach der Rütli-Feier zu Scharmützeln mit der Polizei und Gegen-Demonstranten gekommen war und weil die Medien in immer größeren Lettern über »Die Rütli-Schande« berichtet haben, entschlossen sich die Veranstalter zu handeln: In diesem Jahr sollte man nur mittels Eintrittskarten aufs Gelände gelangen. Dadurch konnten rund 200 Rechte zurückgewiesen werden.
Gleichzeitig kündigte die Polizei im Vorfeld der Feier strenge Sicherheitskontrollen an. Das scheint Wirkung gezeigt zu haben: Auf dem Rütli blieb es in diesem Jahr ruhig. Marschiert sind die schweizer Rechten aber dennoch. Rund 200 von ihnen versuchten, Bundesrat Samuel Schmid bei seiner Rede zu stören – allerdings im Kanton Aargau. Auf dem Rütli denkt man derweilen nach, die Feier abzuschaffen. Wenigstens die Rechten, die sich neue »Ziele« suchen müssen an diesem Tag, wird’s schmerzen.