von Gundula Lasch
Gut erhaltene Backsteinbauten. Hohe Pappeln säumen die Wege. Sommer in Oswiecim. »Alles hier sieht so normal aus«, sagt Markus. Er ist 17 und besucht gemeinsam mit 22 jüdischen und christlichen Jugendlichen das ehemalige Vernichtungslager Auschwitz. »Es ist unfassbar.« Drei Stunden lang hatte sie die polnische Gästeführerin Ewa Gorska über das Gelände geführt. Die Jugendlichen – zwischen 15 und 23 Jahre alt – hatten Baracken gesehen, darin Fotos, Häftlingszeichnungen, Berge von Menschenhaaren und Gebrauchsgegenstände der Ermordeten.
»Woher kam der Hass, wie konnten Menschen das tun?«, fragt der 17-jährige Rostyslaw. Beantworten kann ihm die Frage niemand. Stattdessen weitere Fakten und Zahlen. Im Außenlager Birkenau lebten ab 1942 bis zu 100.000 Menschen zusammengepfercht in Baracken. Doch die meisten, die mit Viehwaggons ankamen, wurden direkt in die Gaskammern geschickt. Rund 1,5 Millionen Menschen wurden hier von den Nazis umgebracht, die meisten von ihnen waren Juden.
An der Erschießungsmauer im Stammlager hält die Gruppe inne, zündet Kerzen an, manche beten, jüdische oder christliche Gebete. Einige weinen. Am Nachmittag treffen sie Henryk Mandelbaum. Er war hier KZ-Häftling, heute ist er 85 und erzählt, wie er, als Mitglied des Sonderkommandos in Birkenau, die Häftlinge in die Gaskammern treiben und die Leichen ins Krematorium schaffen musste. »Ich kann nur überleben, weil ich über meine Erlebnisse rede«, gesteht der den stummen Zuhörern.
»Ich habe viel gesehen und erklärt bekommen – verstehen kann ich es dennoch nicht«, sagt die 17-jährige Katja. Verstehen, das ist wohl eine Vokabel, die sich auf Auschwitz nicht anwenden lässt. Stattdessen suchen die Jugendlichen Mut hinter Versprechen. »Wir müssen gemeinsam gegen das Vergessen kämpfen – ganz gleich, ob wir Christen oder Juden sind«, sagt Schmuel, er ist 19.
Eine Woche waren sie zusammen. Die Jüdisch-Christliche Arbeitsgemeinschaft Sachsen hatte die Reise ermöglicht. Ruth Röcher, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Chemnitz und Timotheus Arndt von der Arbeitsgemeinschaft hatten sie inhaltlich gestaltet.
»Ich bin froh, dass ich in der Gruppe aufgefangen werde und nicht allein mit diesen Erlebnissen fertig werden muss«, gesteht Theresia, sie ist mit 15 eine der jüngsten Teilnehmer. »Mach’s gut Michal, wir sehen uns im September wieder!« Albina umarmt ihre Freundin, der Abschied fällt schwer. Viel haben die Mädchen in den letzten Tagen erlebt. Am 30. September wollen sie sich alle wiedertreffen und noch einmal über die Fahrt reden, dann, wenn sie etwas Abstand gefunden haben. Vielleicht entsteht ein gemeinsames Reisetagebuch. Der christlich-jüdische Dialog jedenfalls soll weitergehen, da sind sie sich einig.