von Wolf Scheller
Zur Größe eines Dramatikers gehört die Gabe, sein Publikum unterhalten zu können. Harold Pinter war für das Theater ein solch seltener Glücksfall. Zuschauer und Kritiker rieben sich an seinen Stücken, an seinen oft tiefschwarzen Komödien, die durch inhaltliche und sprachliche Mehrdeutigkeit ein Klima der Unsicherheit erzeugten, das den Betrachter oft mit einer unbekannten, deshalb aber umso schreck-licheren Bedrohung konfrontierte. Etwa in dem Drei-Akter Die Geburtstagsfeier von 1958, seinem ersten abendfüllenden Schauspiel überhaupt. Hier spürt man den Einfluss Kafkas, Becketts und des amerikanischen Gangsterfilms: Das Individuum ist ausgeliefert an anonyme Mächte, deren Gewalt in die ordentliche Welt des Bürgers einbricht.
Rund 3o Dramen hat Pinter, der sich selbst als »traditionellen Stückeschreiber« bezeichnete, verfasst. Den Durchbruch schaffte er mit seinem zweiten Stück Der Hausmeister, das Einblick gibt in armselige, hoffnungslos rudimentäre Existenzverhältnisse. Bezeichnend hierfür die letzten Worte des obdachlosen, alten Davies, dem der junge Aston Unterkunft in seinem eigenen Zimmer gewährt. Davies gewinnt hieraus aber keine Selbstgewissheit, sondern haftet in der Ratlosigkeit seines Daseins: »Was soll ich machen? Wo soll ich hin?« In der Figur des Davies stellt Pinter den Prototyp einer zugleich unterwürfigen, später dann aber auch anmaßenden autoritären Persönlichkeit heraus. Dabei bedient er sich einer Vulgärsprache, die irgendwann im Verlauf des Stücks einen geradezu poetischen Charakter erreicht, den man bis dato auf der Bühne noch nicht erlebt hatte.
Harold Pinter, im proletarischen Londoner Eastend aufgewachsen als Sohn einer sefardischen Handwerkerfamilie, deren Vorfahren vor der Inquisition aus Portugal geflohen waren, schrieb aber nicht nur Dramen, Gedichte, Hörspiele und Drehbücher. Oft stand er selbst auf der Bühne. Die Undeutlichkeit und Undurchschaubarkeit seiner Welt ließen ihn zunächst als einen Adepten des absurden Theaters erscheinen. Später stieß er mehr und mehr zu einer Art neuem Realismus vor. Hier war das Absurde dann nicht mehr konstruiert, sondern offenbarte sich im Alltagsleben.
Im Alter wandte sich der Dramatiker immer stärker auch politischen Fragen zu. Zusammen mit Arthur Miller besuchte er Mitte der 80er-Jahre die Türkei und traf sich dort mit verfolgten Autoren. Die Unterdrückung der kurdischen Sprache und Kultur inspirierte ihn zu dem Theaterstück »Berg-Sprache«. Und ähnlich wie Peter Handke nahm er öffentlich Partei für den früheren jugoslawischen Diktator Slobodan Milosevic. Dass er George W. Bush und Tony Blair als Massenmörder und Kriegsverbrecher beschimpfte, und sich in den Kampagnen gegen den Irak-krieg engagierte, machte ihn in Großbritannien auch bei Menschen populär, die seine Stücke nie gesehen hatten.
All die großen und kleinen Skandale, die der routinierte Bühnen-Provokateur zu inszenieren verstand, hinderten die Stockholmer Nobelpreis-Juroren nicht daran, ihm 2005 die höchste literarische Auszeichnung zuzuerkennen. Manche Kritiker werteten das als Beleidigung der Weltliteratur, weil Pinter mit seinen Theatererfolgen schon seit Jahrzehnten nicht mehr auf der Höhe der Zeit gewesen sei. Den Preis konnte der Geehrte nicht persönlich entgegennehmen. Er litt zu dem Zeitpunkt bereits an einer schweren Krebserkrankung. Ihr ist Harold Pinter am 24. Dezember 2008 im Alter von 78 Jahren erlegen. Zurück bleibt ein Bühnenwerk, das seinen festen Platz in der Geschichte des modernen Dramas hat.