von Sabine demm
In den Ruinen des ehemaligen Frankfurter Judenghettos wird dem Besucher das ganze Ausmaß der Enge bewußt. Die aneinandergequetschten Häuser Sperber, Roter und Weißer Widder messen gerade einmal 2,50 Meter. In diesen Verhältnissen lebten die Frankfurter Juden seit 1462, als der Rat anordnete, sie in eine einzige, 375 Meter lange Gasse umzusiedeln.
Die Enge des Ghettos wird eine der ersten Erfahrungen für die Besucher der neuen Ausstellung »Die Kaisermacher« im Museum Judengasse in Frankfurt sein. Die archäologischen Überreste, um die das Museum gebaut ist, gehören zu den größten und zentralen Exponaten, um die sich alle anderen Stücke gruppieren. Die Ausstellung läuft parallel in drei anderen städtischen Museen, von denen jedes einen anderen Aspekt der Stadt Frankfurt als Wahl- und Krönungsort der deutschen Kaiser beleuchtet. Anlaß ist das 650-jährige Bestehen der sogenannten »Goldenen Bulle« Kaisers Karls IV. Dieses »Grundgesetz« des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation von 1356 bestätigte den Status Frankfurts als Wahlort der deutschen Kaiser. Der Kaiser verpflichtete sich zum Schutz der Juden, seiner »Kammerknechte« – den sie wiederum mit horrend hohen Steuerabgaben bezahlen mußten. Eine Garantie auf Unversehrtheit stellten die Abgaben allerdings nicht dar. Oft genug wurde das Ghetto zum Ziel von Übergriffen.
Im Jahr 1712 konnte die jüdische Minderheit erstmals einen kleinen Statusgewinn in Frankfurt erwirken, erläutert der Kurator der Ausstellung, Fritz Backhaus. Kurz nach der Krönung Karls VI. war es der jüdischen Gemeinde gegen den Widerstand des Rates gelungen, ihr unmittelbares Verhältnis zum Kaiser mit einem Huldigungseid zu demonstrieren. Das sei eine Aufwertung der jüdischen Gemeinde gewesen.
Was Besuchern des Museums Judengasse neben den extrem schmalen Häusern Sperber, Roter und Weißer Widder auch sofort ins Auge sticht, sind die Ruinen des be-nachbarten Steinernen Hauses mit zwei Mikwen. Es ist doppelt so breit wie die anderen drei Häuser und leitete eine neue Ära der jüdischen Geschichte ein, sagt Backhaus: »Es ist das einzige steinerne Haus im Ghetto und zeigt, daß im 18. Jahrhundert die Einflußmöglichkeiten einer kleinen, neuen Gruppe innerhalb der jüdischen Gesellschaft, der sogenannten Hofjuden, enorm gestiegen ist. Aufwändige Häuser aus Stein zu errichten war Juden eigentlich veboten. Die christliche Bevölkerung hätte dies als anmaßenden Prunk empfunden.
Doch nach dem großen Brand in der Judengasse von 1711 hatte der wohlhabende Wiener Hofjude Isaak Nathan Oppenheimer den Bau eines solchen Gebäudes in fünf Jahre dauernden Auseinandersetzungen mit dem Rat durchgesetzt. Nicht zuletzt, weil sich der Kaiser selbst für seinen Hoffaktor verwandte. Dem Einfluß solcher Männer war es zu verdanken, daß die jüdische Gemeinde in kleinen Schritten aus dem Schatten ihres rechtlosen Daseins heraustreten konnte.
Besonders einzelne Mitglieder der Familien Oppenheim und Wertheimer machten in dieser Funktion eine steile Karriere. Hoffaktoren waren ein speziell deutsches Phänomen des 17. und 18. Jahrhunderts, der Hochblüte der absolutistischen Fürstenmacht. Als Vertrauensmänner der Herrscher genossen sie oft großen Einfluß. Sie beschafften den Fürsten Geldmittel, Kriegsgerät, aber auch Luxusgüter. Das unternehmerische Risiko blieb für sie dabei erhalten. Christen waren Zinsgeschäfte verboten, weshalb oft Juden diese Aufgabe übernahmen. Daß sie trotz der Enge der Ghettos, in denen sie in Europa leben mußten, über weitreichende Verbindungen verfügten, kam ihnen ebenfalls zupaß.
Gerade in der Messestadt Frankfurt florierte seit jeher der Handel und damit verbunden der Geldverleih. Aus der Funktion der Hoffaktoren hat sich seit dem 18. Jahrhundert immer mehr das moderne Bankgeschäft entwickelt. Insbesondere der Name Rothschild ist zu einem Synonym für die Bedeutung jüdischer Persönlichkeiten im Bankengewerbe geworden. Der Begründer der legendären Dynastie, Meyer Amschel Rothschild, kam 1744 in einem düsteren Hinterhaus der Frankfurter Judengasse zur Welt, von dem aus er später auch seine Geschäfte leitete. Obwohl er es bereits zu beträchtlichem Reichtum gebracht hatte, mußte Meyer Amschel Zeit seines Lebens als Unterprivilegierter im ärmlichen Judenghetto leben. Erst seinen Söhnen, die Dependancen in ganz Europa errichteten, war ein Leben in Freiheit möglich.
Die Ausstellung »Kaisermacher« läuft bis 14. Januar 2007 im Museum Judengasse, Kurt-Schumacher-Str. 10, 60311 Frankfurt. Weitere Infos unter www.kaisermacher.de.