von Marina Maisel
Der Sitzungssaal der IKG in München war voll besetzt. Die Informationsveranstaltung über jüdische Bildung in München interessiert offensichtlich viele jüdische Eltern. Manche machen sich schon lange Gedanken über den weiteren Schulweg ihrer Kinder. Bislang gibt es in München lediglich einen jüdischen Kindergarten und eine jüdische Grundschule, die Sinai-Schule. Nach Beendigung der vierten Klasse haben die Kinder also keine Möglichkeit mehr, auch auf weiterführenden Schulen hebräische Sprache, Literatur und Geschichte zu lernen. Lediglich jüdischer Religionsunterricht wird angeboten.
Die Idee, ein eigenständiges jüdisches Gymnasium in München aufzubauen, konnte bis jetzt noch nicht realisiert werden. Und das liegt nicht nur am finanziellen Potential, das man dafür natürlich auch braucht. Eine ganz wesentliche Voraussetzung, um eine staatliche Anerkennung als Gymnasium zu bekommen, ist eine ausreichende Schülerzahl in allen Jahrgangsstufen. Die Präsidentin des IKG, Charlotte Knobloch, sagt dazu: »Vor einiger Zeit hatten wir schon einmal alles vorbereitet, um ein jüdisches Gymnasium zu etablieren. Doch dann haben wir keinen einzigen Schüler gewinnen können.«
Ein jüdisches Gymnasium bleibt dennoch das erklärte Ziel der IKG. Um das eines Tages auch zu erreichen, soll heute schon mit kleinen Schritten angefangen werden. Die Informationsveranstaltung in der IKG zeigte, wohin ein erster Schritt führen soll.
Die Israelitische Kultusgemeinde hat in Kooperation mit dem St.-Anna-Schulverbund beschlossen, im privaten sprachlichen Günter-Stöhr-Gymnasium ab dem Schuljahr 2006/07 einen jüdischen Zweig einzurichten. Der Vizepräsident der IKG, Yehoshua Chmiel, stellte zusammen mit dem Direktor des Günter-Stöhr-Gymnasiums, Sebastian Schauberger, das neue Projekt vor: Im Rahmen der allgemeinen bayerischen Lehrpläne werden den Schülern im jüdischen Zweig in 50 Wochenstunden des Ganztagsgymnasiums (von 8.30 Uhr bis 16.30 Uhr) vertiefte Kenntnisse in jüdischer Geschichte, Religion und Philosophie vermittelt. Die IKG stellt zwei Lehrkräfte für den Religions- und Hebräisch-
unterricht zur Verfügung und übernimmt die Personalkosten dafür. In den Fächern Deutsch, Musik, Kunst und Geschichte werden ebenfalls spezifisch jüdische Inhalte im Rahmen der sonstigen Lehrpläne eingebunden. Selbstverständlich werden im jüdischen Zweig alle Voraussetzungen dafür gegeben sein, daß die Einhaltung der jüdischen Gebote und Rituale möglich ist. Das betrifft insbesondere die Kaschrut, das Morgen- und das Tischgebet und die Feier der Gedenktage. Schauberger sicherte den Eltern darüber hinaus zu, daß wegen des Schabbats jüdische Kinder am Freitag weniger Stunden haben werden und früher nach Hause entlassen werden sollen. Er betonte dabei: »Die jüdischen Feiertage werden in der Schule nicht nur gelehrt, sondern auch gelebt.«
Einige Eltern äußerten die Sorge, wie denn in einem katholischen Gymnasium die jüdische Religion angemessen gefördert werden könne. Daß das funktionieren kann, belegt ein Beispiel aus der zurückliegenden Zeit: Der Vater eines Mädchens, das einige Jahre das Günter-Stöhr Gymnasium besucht hat, erzählte: »Meine Tochter war das einzige jüdische Kind im Gymnasium. Die Schule war damals sehr aktiv und hat nur für dieses einzelne Kind die Genehmigung vom Kultusministerium bekommen, sie vom katholischen Religionsunterricht zu befreien. Für uns war es überhaupt kein Problem, wenn wir unsere Feiertage oder Schabbat hatten. Die anderen Kinder im Gymnasium haben ein enormes Interesse am jüdischen Glauben gezeigt. Wir sind sehr dankbar dafür, daß unsere Tochter eine umfangreiche Bildung bekommen hat und gleichzeitig die wichtigen jüdischen Werte vermittelt bekam.«
Wenn es um ein privates Gymnasium geht, ist die Frage nach den Kosten für die Eltern wichtig. Yehoshua Chmiel hat dabei versichert, daß die Gemeinde ihre Mitglieder dabei unterstützen werde: »Wenn wir auch nur ein paar Anmeldungen bekommen, vier oder fünf Kinder, dann fangen wir an.«
Zum Konzept des jüdischen Zweigs gehört es, Hebräisch als zweite Fremdsprache im sprachlichen Gymnasium zu etablieren. Das ist allerdings keine kleine Hürde, denn dazu muß Hebräisch als Fremdsprache in Bayerns Schulen anerkannt werden.
Eine weitere Frage war die nach dem Schulweg: »Wie werden die Kinder das Gymnasium erreichen?« Das Günter-Stöhr-Gymnasium liegt im Süden Münchens in der Gemeinde Icking. Mit der S-Bahn beträgt die Fahrtzeit von der Stadtmitte aus etwa eine halbe Stunde. Vom S-Bahnhof Ebenhausen aus werden die Kinder von schuleigenen Bussen morgens abgeholt und nach Schulschluß wieder dorthin gebracht.
Die Vorstellung des Günter-Stöhr-Gymnasiums selbst überzeugte die Eltern schnell. Das Gymnasium existiert seit 25 Jahren und hat etwa 250 Schüler. Als Schulgebäude dient die Villa Eggenberg. Neben dem regulären Schulprogramm bietet das Gymnasium ein breites Spektrum an Freizeit- und Wahlunterrichtsangeboten: Medienwerkstadt und Schülerzeitung, Chor und Orchester, Instrumentalunterricht und Theater und vieles andere mehr. Ein interessantes Sportangebot (Volleyball, Tischtennis, Schach), der regelmäßige Schüleraustausch mit New York und Israel sowie ein eigenes Schulheim runden die vielseitigen Angebote ab.
Bei allem, was an Voraussetzungen noch erfüllt werden muß, um den jüdischen Zweig am Günter-Stöhr-Gymnasium einzurichten, hat die Informationsveranstaltung eines gezeigt: Die Eltern haben großes Interesse an jüdischer Bildung in München und sind bereit, sie zu fördern. Das ist ein durchaus hoffnungsvolles Ergebnis der Veranstaltung, denn, so Yehoshua Chmiel, je mehr jüdische Kinder sich für den jüdischen Zweig anmelden, desto mehr Zukunft hat das jüdische Leben in München.