von Rabbiner David Goldberg
Von den 54 Abschnitten der Tora werden die beiden Paraschot »Wajakhel« und »Pekudej« zumeist gemeinsam an einem Schabbat gelesen. Sie gehören thematisch zusammen. Enthalten sind genaue Anweisungen für den Bau des Mischkan, des Stiftszelts, und zur Herstellung der heiligen Geräte und Priestergewänder. G’tt gibt Befehle an Mosche, und der leitet sie weiter an das Volk. Zuerst werden die Gegenstände im Zeltinneren beschrieben: der Aron HaKodesch, die Lade für die Aufbewahrung der Gesetze, die Abdeckung, dann der Tisch für das Schaubrot und die Menora für die Beleuchtung des Heiligtums. Erst danach erfolgen die Anordnungen für den Bau des Zeltes. Daraus schließen unsere Weisen, dass die Geräte in ihrer Funktion wichtiger zu erachten sind als das Haus selbst.
In » Wajakhel« lesen wir, wie die Arbeiten genau auszuführen sind. Es wird zu Spenden aufgerufen, um Baumaterial für das Heiligtum zu beschaffen und die Geräte anzufertigen, ferner werden der Oberarchitekt und seine Mitarbeiter benannt und eingesetzt. Wir lesen, dass das Stiftszelt mit Teppichen, Akazienholzstangen, Spangen und anderem ausgestattet werden soll und wie alle Geräte herzustellen sind: Lade, Tisch, Leuchter und Räucheraltar.
Es erscheint verwunderlich, dass die Anweisungen so oft wiederholt werden, zumal die Themen in der Tora gewöhnlich sehr kurz und prägnant gefasst sind. Welchen Grund gibt es dafür? Die Errichtung eines Heiligtums ist eine so einmalige Angelegenheit, dass sie normalerweise mit einem einzigen Satz deutlich gemacht wäre: G’tt befahl Mosche, und das Volk handelte danach.
Auffällig ist auch, dass in den beiden Wochenabschnitten »Wajakhel« und Pekudej« über sehr umfangreiche, sachliche Abhandlungen berichtet wird, wobei G’ttes Handeln und Seine Anwesenheit, wie in den Abschnitten zuvor, völlig fehlen.
Zur Beantwortung der Fragen, muss man vom Ende des 2. Buches Moses an dessen Anfang zurückkehren. Mosche erhält auf dem Berg Sinai die Steintafeln, die Tora und die Mizwot (24, 12). Der Ewige gibt Mosche in 40 Tagen die gesamten Gebote. Im restlichen Teil des Buches sind lediglich die Anweisungen für den Bau des Heiligtums und seiner Geräte zu lesen. Die Ausführlichkeit der Beschreibungen und der Umstand, dass alle anderen Themen erst in den weiteren Büchern behandelt werden, unterstreicht die Wichtigkeit.
Maimonides erklärt es so: »Schemot«, das 2. Buch Moses, beginnt mit dem ersten Exil des Volkes Israel und endet mit dessen Auflösung. Das Volk kehrt auf dem geistlichen Niveau seiner Vorväter in sein Land zurück. Die körperliche Befreiung erfolgte bereits beim Auszug aus Ägypten, die geistliche Umkehr zu G’tt jedoch erst beim Bau des Stiftszelts. Dies war eine Notwendigkeit, da die erste Rückkehr am Berg Sinai kurz danach durch die Sünde mit dem goldenen Kalb nichtig wurde. G’ttes Geist verließ das Lager. Das geistliche Exil war noch nicht beendet.
Obwohl Mosche den Ewigen für das Volk um Verzeihung anfleht, bleibt Sein Geist außerhalb (33, 7). Soll er zurückkehren, muss das Volk sich mit heiligen Dingen beschäftigen. Beim Bau des Mischkan befassen sich alle Israeliten aktiv mit G’ttes Angelegenheiten. Dadurch nähern sie sich Ihm wieder an.
»Wajakhel« beginnt mit den Worten: »Und Mosche versammelte die ganze Gemeinde«. Auch bei der Sünde mit dem goldenen Kalb »versammelte« sich das Volk um Aharon (2. Buch Moses 32,1). So ist eine Versammlung zum Guten – wie der Bau des Heiligtums – als eine Wiedergutmachung der Versammlung zum Schlechten zu betrachten. Nach dem Gold für das Götzenbild sammelte Israel, im Rahmen der Sühne, das Gold fürs Stiftszelt. Die Anfertigung des goldenen Kalbs war ein Ausdruck der Bereitschaft mitzuwirken. Dies ist im Grunde nichts Negatives, doch es zeigt: Handelt der Mensch nach seinem Verstand, kann dies zu Götzendienst führen. Handelt er nach G’ttes Befehl, führt dies immer zur Heiligkeit.
Nur in einem so errichteten Heiligtum wollte sich G’tt in der Welt offenbaren. Im 2. Buch Moses 24,15 (»bedeckte die Schechina den Berg Sinai«) und 40,34 »bedeckt die Schechina das Stiftszelt« macht die hebräische Entsprechung für »bedeckte die Schechina« deutlich, dass Israel zu G’tt zurückkehrte. Das vormals hohe geistige Niveau ist wieder erreicht.
Im Buch Bereschit, dem 1. Buch Moses, wird vom Garten Eden als dem Platz der Gegenwart G’ttes berichtet. Von dort werden Adam und Chava nach ihrer Sünde vertrieben. Damit die Menschen nicht zurückkehren können, bewachen Cherubim den Eingang. Diese Engel werden erstmalig wieder beim Bau des Mischkan erwähnt. Auf dem Kaporet, der Abdeckung, und als kunstvolle Stickerei auf dem Vorhang zum Allerheiligsten bewachen sie wieder die Stelle der Gegenwart G’ttes.
Im Paradies, dort wo der Baum des Lebens steht, und im Heiligtum, dem Aufbewahrungsort der Steintafeln und der Tora, kann der Mensch G’tt nahe sein. Daraus lernt man, dass der Bau des Heiligtums als Wiedergutmachung der ersten menschlichen Sünde zu verstehen ist. Das Befolgen aller Mizwot bringt den Menschen dem Ewigen wieder näher.
Der Autor ist Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Hof (Saale).