von Yohana Hirschfeld
Der Titel ist Programm. Dritte Generation nennt Israels Regiestar Yael Ronen ihre neue Inszenierung, eine Koproduktion des Theaters Habima mit dem »Festival Theater der Welt« in Halle und der Schaubühne Berlin. Denn das umstrittene Stück ist eines über Identität.
Ronen hat in Teamarbeit mit ihrem Ensemble – drei israelischen, vier deutschen und drei arabischen Schauspielern – eine Reihe von Alltagsszenen erarbeitet, die den persönlichen Erlebnissen der Darsteller entsprungen sind und doch exemplarisch stehen können für die Erfahrungen ihrer Generation. Schnelle Wechsel zwischen wütender Komik – Ausdruck der Hilflosigkeit angesichts von Schuld und Scham, Angst und Vorurteilen im Umgang miteinander – und todernsten Momenten der Erinnerung an allzu präsente Traumata geben dem Stück seine schmerzhafte Tiefe. Bei der Premiere vergangenen Freitag in der Schaubühne wurde das deutlich.
Da gibt es den israelischen Soldaten, dessen Albträume ebenso erfüllt sind von den Erinnerungen seiner Großmutter an die Schoa wie von Bildern einer Erschießungsszene während seines Militärdienstes. Oder den Überkorrekten, der sich ohne Unterlass für Deutschland entschuldigt – um im nächsten Moment gegen die israelische Militärpolitik zu demonstrieren. Wir sehen den christlich-arabischen Palästinenser mit israelischem Pass, von arabischer Seite als Verräter diskriminiert. Und die Palästinenserin, die als Zivilistin Opfer des Krieges gegen die Hamas wird.
Dritte Generation zeigt die emotionale und psychische Verfasstheit seiner Protagonisten ohne zu vergleichen, ohne zu nivellieren oder in einen Appellcharakter zu verfallen. Es ist die Momentaufnahme einer Generation der Dreißigjährigen, die nur für sich spricht. Trotzdem ist es ein Stück, das wehtut. Auf die satirische Zuspitzung in einigen Szenen angesprochen gibt Ronen zu, dass es für sie schwer war, einen vertretbaren Weg der Darstellung ihres Themas für ein deutsches Publikum zu finden. Sie schreibt für ein israelisches Publikum, dem sie kompromisslos Verdrängungsmuster und Manipulation des eigenen Anspruchs vorhalten will. Diese Form der Selbstreflexion ist längst fester Bestandteil israelischer Theaterproduktionen. Für ein deutsches Publikum ist sie neu und könnte auf eine Art und Weise missverstanden werden, die Ronen selbst als verstörend und gefährlich bezeichnet. Trotzdem besteht sie auf ihrem Recht, als Israelin die blinden Flecken ihrer Gesellschaft zu kritisieren. Und sie setzt auf die Fähigkeit des deutschen Publikums, sich auf diese Reflexion einzulassen. Das gilt auch für Szenen, in denen die Deutschen als kritiksüchtige und hysterische Polit-Saubermänner vorgeführt werden.
Ronens Stück richtet sich gegen die Sucht nach Vergleichen mit der Schoa, gegen das Aufrechnen mit heutigen und früheren Konflikten, besonders aber gegen den Missbrauch der Vergangenheit als Argument für aktuelle politische Interessen. Das ist der Knoten, in dem sich ihre israelischen, deutschen und palästinensischen Protagonisten verfangen – und sich damit die Chance nehmen, einander wirklich zu verstehen. Zielsicher zeigt die israelische Regisseurin die Litanei aus Klischees und Phrasen, die überall zum Handwerkszeug der öffentlichen Meinungsmacher gehört und die sich ihr Ensemble mit großer Spiellust gegenseitig um die Ohren haut.
Für einige Zuschauer ist diese Spiellust eine Zumutung. Bei einer Probeaufführung in Tel Aviv verließ eine Mitarbeiterin der Kulturabteilung des israelischen Außenministeriums die Vorstellung. Auch in Berlin gab es Protest. Isaak Behar, Gemeindeältester der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, forderte die Schaubühne schon vor der Premiere in einem offenen Brief auf, die Aufführung zu stoppen. Er fühle sich als Überlebender der Schoa von der Gleichsetzung mit der »Nakba« der Palästinenser persönlich beleidigt. In einem Antwortschreiben an Behar versuchte Ronen deutlich zu machen, dass ein solcher Vergleich nicht von ihr beabsichtigt sei.
Vielleicht ist Dritte Generation ein Stück nicht nur von, sondern auch für die dritte Generation. Auf jeden Fall ist es kluges, witziges, böses und wunderbar gespieltes Theater. Mit dem Mut, Salz in jede Wunde zu streuen.
Schaubühne Berlin, Kurfürstendamm 153, 10709 Berlin. Tel 030 89 00 23
www.schaubuehne.de